Effektives, pferdefreundliches Training basiert auf klarer Kommunikation, präzisem Timing und einem fundierten Verständnis von Verstärkung. Im Clickertraining wird in der Regel mit Futter als primärem Verstärker gearbeitet. Neben dieser üblichen Form der Verstärkung gibt es jedoch noch weitere Möglichkeiten, Verhalten zu verstärken. Darunter auch ein Prinzip, das in der modernen Verhaltensanalyse eine zentrale Rolle spielt: das Premack-Prinzip.
Das Premack-PrinzipDas Premack-Prinzip besagt, dass ein häufig gezeigtes und bevorzugtes Verhalten als Verstärker für ein weniger wahrscheinliches Verhalten genutzt werden kann. Ein Tier oder Mensch ist eher bereit, eine weniger attraktive... » Weiterlesen beruht darauf, dass VerhaltenVerhalten bezeichnet alle äußeren und inneren Aktivitäten eines Lebewesens, die durch Reize aus der Umwelt oder aus dem eigenen Körper ausgelöst werden. Es umfasst sowohl bewusste als auch unbewusste Handlungen... » Weiterlesen durch Verhalten verstärkt werden kann. Genauer gesagt: Ein Verhalten, das mit hoher Wahrscheinlichkeit auftritt, also in der Regel bevorzugt ist, kann ein Verhalten mit geringerer Auftretenswahrscheinlichkeit verstärken – sofern es unmittelbar darauffolgt.
Dabei ist wichtig, das Premack-Prinzip wirkt immer, unabhängig davon, ob es bewusst eingesetzt wird oder nicht. In jeder Trainingseinheit beeinflusst es, welches Verhalten stabilisiert und welches möglicherweise ungewollt verstärkt wird. Daher ist es wichtig, sich mit diesem Prinzip auseinanderzusetzen, um Verstärkung gezielt zu nutzen, statt Lernprozesse dem Zufall zu überlassen.
Herkunft und wissenschaftliche Grundlage
Das Premack-Prinzip wurde erstmals in den 1950er-Jahren vom amerikanischen Psychologen David Premack formuliert. In seinen Studien untersuchte er das Verhalten von Ratten und stellte fest, dass die Tiere bereit waren, ein weniger wahrscheinliches Verhalten – zum Beispiel das Drücken eines Hebels – häufiger zu zeigen, wenn sie dadurch Zugang zu einem Verhalten erhielten, das sie besonders gern und häufig ausführten – etwa das Laufen im Laufrad.
Aus dieser Beobachtung leitete Premack ab, dass Verstärkung nicht nur an bestimmte Reize gebunden ist, sondern sich aus dem Verhältnis zweier Verhaltensweisen ergibt. Ein Verhalten mit hoher Auftrittswahrscheinlichkeit kann ein Verhalten mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit verstärken – vorausgesetzt, es folgt unmittelbar darauf.
Mit dieser Erkenntnis erweiterte Premack die klassische Lerntheorie, die bis dahin vor allem mit festen Reizen wie Futter, Wasser oder Spielzeug als VerstärkerEin Verstärker ist ein Reiz oder eine Konsequenz, die die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens erhöht. In der operanten Konditionierung unterscheidet man zwischen positiven und negativen Verstärkern. Ein positiver Verstärker ist... » Weiterlesen gearbeitet hatte. Sein Prinzip machte deutlich, dass Verhalten selbst als Verstärker dienen kann, wenn es für das jeweilige Individuum in der jeweiligen Situation attraktiv ist.
Diese Idee fand schnell Eingang in die Lernpsychologie, Verhaltenstherapie und Tierausbildung – und bildet heute eine wichtige Grundlage für den Einsatz von funktionaler Verstärkung im Training, insbesondere im Rahmen der positiven VerstärkungPositive Verstärkung (R+) ist eine Methode der operanten Konditionierung, bei der ein angenehmer Reiz hinzugefügt wird, um die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens zu erhöhen. Das Tier lernt, dass ein bestimmtes... » Weiterlesen.
Das Premack-Prinzip immer im Gepäck
Das Premack-Prinzip ist im Pferdetraining stets präsent – ganz gleich, ob bewusst damit gearbeitet wird oder nicht. Überall dort, wo auf ein Verhalten ein besonders lohnendes Verhalten folgt, besteht die Möglichkeit, dass das vorherige Verhalten verstärkt wird. Genau das geschieht im Alltag häufig unbeabsichtigt – mit nachhaltiger Wirkung auf das Trainingsverhalten.
Drängelt ein Pferd am Koppeltor und wird dennoch direkt losgelassen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Verhalten künftig häufiger zeigt. Das Losrennen bzw. der Weidegang wirkt als Verstärker für das unruhige Verhalten. Wird hingegen bewusst gewartet, bis das Pferd ruhig steht, bevor es losgelassen wird, kann genau dieses Verhalten durch das nachfolgende Loslassen verstärkt werden.
Ähnlich wirkt es beim Aufsteigen: Wenn ein Pferd nach dem ersten Fuß im Steigbügel bereits selbstständig losläuft und die Einheit dann direkt begonnen wird, wird das selbständige Loslaufen bzw. nicht stehenbleiben verstärkt. Wird dagegen konsequent nur das ruhige Stehen mit dem anschließenden Anreiten verknüpft, verstärkt sich mit der Zeit genau dieses gewünschte Verhalten, selbst, wenn nicht durch externe Reize, wie z. B. Futter, verstärkt wird – vorausgesetzt natürlich, dass das Loslaufen für das Pferd ein bevorzugtes Verhalten ist.

Bewegung, Handlung, MotivationMotivation ist der innere Antrieb, der ein Lebewesen dazu veranlasst, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Sie entsteht durch die Erwartung, ein Bedürfnis zu befriedigen oder eine Konsequenz zu vermeiden. Motivation... » Weiterlesen – natürliche Verhaltensweisen gezielt einsetzen
Das Premack-Prinzip lässt sich im Training sehr wirkungsvoll nutzen, indem bevorzugte, spontan gezeigte Verhaltensweisen des Pferdes gezielt als Verstärker eingesetzt werden. Damit sind vor allem Verhaltensweisen gemeint, die aus dem natürlichen Verhaltensrepertoire stammen und für viele Pferde von sich aus angenehm und motivierend sind – zum Beispiel sich in Bewegung setzen, das Tempo erhöhen, anhalten oder einen Richtungswechsel einleiten.
Diese Verhaltensweisen haben den Vorteil, dass sie in den meisten Trainingssituationen gut steuerbar sind und sich auch in höherer Frequenz nutzen lassen – etwa das Losgehen nach ruhigem Stehen, ein Tempowechsel nach einem Übergang oder das kurzzeitige Stehenbleiben, das dem Pferd Orientierung und Entlastung bietet. All diese Handlungen können als Verstärker für vorangegangenes Verhalten dienen – wenn sie bewusst angebunden und in einem passenden Zusammenhang eingesetzt werden.
Beispiele für natürlich motivierte Verhaltensweisen, die sich gut als Verstärker nutzen lassen:
- Losgehen nach dem Stillstehen beim Aufsteigen
- Freies Vorwärtsgehen nach einer präzisen Seitwärtsbewegung
- Wechsel vom Trab in den Schritt nach einer gelungenen Trab-Haltung
- Kurzes Stehenbleiben nach konzentrierter Bewegung
- Vorwärts in die Box gehen dürfen nach kurzem Warten
Die Anwendung des Prinzips erfolgt in der Regel zusätzlich zur klassischen Futterverstärkung, nicht an deren Stelle. So können Pferde in ihrem Bewegungsdrang ernst genommen werden, ohne dass das Trainingsziel aus dem Blick gerät. Genau so können die BedürfnisseEin Bedürfnis ist ein grundlegendes Verlangen oder eine Notwendigkeit, die erfüllt werden muss, um das körperliche oder emotionale Wohlbefinden eines Lebewesens zu erhalten. Bedürfnisse können biologisch (primäre Bedürfnisse) oder situationsabhängig... » Weiterlesen von eher energiesparenden Vierbeinern berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass das Pferd auf die bevorzugte Aktivität nicht einfach Zugriff hat, sondern dass sie gezielt verfügbar gemacht wird, sobald ein bestimmtes Verhalten gezeigt wurde.
Wer herausfinden möchte, welche dieser Verhaltensweisen sich als Verstärker eignen, sollte genau beobachten, wie sich das Pferd in Pausen, bei der Freiarbeit oder in neutralen Situationen verhält. Welche Bewegungen zeigt es spontan und freudig? Wo wirkt es sicher, motiviert, ausbalanciert? All das sind Hinweise darauf, welche Verhaltensweisen sich im Sinne des Premack-Prinzips als funktionale Verstärker eignen – und sinnvoll ins Training integriert werden können.
Wenn Signale zu Verstärkern werden – Warum das richtige TimingTiming bezeichnet im Clickertraining und in der positiven Verstärkung den genauen Moment, in dem ein Markersignal (z. B. ein Click) oder eine Belohnung gegeben wird. Präzises Timing ist entscheidend, da... » Weiterlesen entscheidend ist
Verhalten, das mit positiver Verstärkung aufgebaut wurde, kann nicht nur als Trainingsziel dienen, sondern auch selbst als Verstärker wirken. Das gilt nicht nur für natürliche Verhaltensweisen, sondern grundsätzlich für alles, was das Pferd mit positiven KonsequenzenEine Konsequenz ist das Ergebnis oder die Folge eines Verhaltens, das sich direkt auf zukünftiges Verhalten auswirken kann. Konsequenzen spielen eine zentrale Rolle in der operanten Konditionierung, da sie darüber... » Weiterlesen verknüpft – also auch erlernte Signale und die damit verbundenen Verhalten.
Sobald ein Verhalten für das Pferd vorhersehbar, angenehm und sicher abrufbar ist, kann es im Sinne des Premack-Prinzips dazu genutzt werden, ein anderes, weniger wahrscheinlich auftretendes Verhalten zu verstärken. Dabei wird nicht nur das Verhalten selbst relevant – auch das Signal, das diesem Verhalten vorausgeht, gewinnt an Bedeutung. Ist ein Verhalten sauber über positive VerstärkungSiehe Verstärkung, positive, » Weiterlesen aufgebaut worden, wirkt bereits das Setzen des Signals verstärkend auf das unmittelbar vorausgehende Verhalten, da darauf ein lohnenden Verhalten mit in der Regel anschließendem Verstärker folgt.
Gerade deshalb ist es so wichtig, Signale bewusst und gezielt zu setzen. Denn das Verhalten, das das Pferd in dem Moment zeigt, in dem das Signal gegeben wird, wird durch das darauffolgende Verhalten – das für das Pferd verstärkend wirkt – mitgelernt. Wird das Signal zum Beispiel dann gegeben, wenn das Pferd mit schiefem Hals steht oder zur FuttertascheEine Futtertasche ist ein praktisches Hilfsmittel im Clickertraining mit Pferden. Sie ermöglicht es, Belohnungsfutter griffbereit und sicher aufzubewahren, sodass es schnell und gezielt eingesetzt werden kann. Eine gut gewählte Futtertasche... » Weiterlesen schaut, passiert es leicht, dass diese Verhaltensweisen mitgelernt werden, auch, wenn soe nie gezielt angesprochen wurden.
Solche unerwünschten Begleitverhalten setzen sich oft schleichend fest. Das liegt nicht an fehlendem Verständnis beim Pferd, sondern meist an ungenauem Timing, fehlender Achtsamkeit beim Geben von SignalenEin Signal ist ein Zeichen oder Reiz, der für das Tier eine Bedeutung hat und ein Verhalten auslöst oder einen emotionalen Status hervorruft. Es zeigt dem Tier an, dass es... » Weiterlesen und nicht klar definierten KriterienEin Kriterium ist eine klare, einzelne Anforderung, die ein Tier in einem Training erfüllen muss, um eine Verstärkung zu erhalten. Es definiert eine präzise Eigenschaft des erwünschten Verhaltens, beispielsweise die... » Weiterlesen für das MarkersignalEin Markersignal ist ein spezifisches Signal, das in der operanten Konditionierung verwendet wird, um dem Tier genau den Moment zu kennzeichnen, in dem es ein erwünschtes Verhalten zeigt. Es dient... » Weiterlesen. Um dem vorzubeugen, sollte ein Signal möglichst in einem neutralen, ausbalancierten Moment gesetzt werden – etwa wenn das Pferd ruhig steht, gerade ausgerichtet ist und aufmerksam beim Menschen ist. So wird die gewünschte Grundhaltung gefördert – sowohl körperlich als auch emotional.
Wer sich diesen Zusammenhang bewusst macht, kann das Premack-Prinzip gezielt dafür nutzen, nicht nur das ZielverhaltenZielverhalten ist das gewünschte Endverhalten, das ein Lebewesen durch Training oder Lernen zeigen soll. Es ist das Verhalten, das durch gezielte Verstärkung geformt oder gefestigt wird. Ein klar definiertes Zielverhalten... » Weiterlesen zu stabilisieren, sondern auch die Qualität des gesamten Trainingsprozesses. Denn alles, was für das Pferd mit positiver Erfahrung verbunden ist – sei es ein bekanntes Verhalten, ein Bewegungsablauf oder ein vertrautes Signal – kann als Verstärker dienen. Entscheidend ist, was dem vorausgeht.

Wenn die Umwelt selbst zum Verstärker wird: Umweltverstärker
Neben bewusst eingesetzten natürlichen oder gelernten Verhaltensweisen gibt es auch Verstärker, die aus der Umgebung selbst entstehen. Diese sogenannten Umweltverstärker wirken oft subtil, sind aber nicht weniger bedeutsam für das Lernverhalten.
Ein wesentlicher Unterschied zu funktionalen Verstärkern liegt darin, dass Umweltverstärker sich oft nicht gezielt steuern oder vollständig ausschalten lassen. Gerade in Situationen mit starker Motivation oder emotionaler Aufladung – etwa wenn ein Pferd sich nicht vom Stall entfernen möchte oder zur Herde drängt – wirkt die Annäherung an das Ziel bereits verstärkend, noch bevor der Mensch eingreifen kann. Hier reichen oft wenige Schritte oder sogar ein bloßer Blick in Richtung des gewünschten Ortes aus, um Verhalten unbeabsichtigt zu bestärken.
Beispiel Kleben: Hat ein Pferd AngstAngst ist eine andauernde Reaktion auf eine vermutete oder unklare Gefahr. Im Gegensatz zu Furcht, die durch eine konkrete Bedrohung ausgelöst wird, kann Angst auch ohne direkten Auslöser auftreten. Sie... » Weiterlesen, sich vom Hof zu entfernen, ist die Nähe zum Stall oft so stark als positiv belegt, dass jeder Rückschritt in diese Richtung automatisch als Verstärker wirkt. Wenn das Pferd in hoher Erregung beginnt zu drängeln oder zu zerren, lässt sich das Verhalten kaum noch kontrollieren und wird durch jeden weiteren Meter in Richtung des sicheren Ortes weiter gefestigt. Die Folge: Je öfter dieses Verhalten „erfolgreich“ ist, desto schwieriger wird es, es wieder aufzulösen.
Verstärkung erfolgt hier nicht durch eine direkte BelohnungEine Belohnung ist eine Konsequenz, die vom Tier als angenehm empfunden wird, aber nicht zwingend dazu führt, dass das vorherige Verhalten häufiger auftritt. Umgangssprachlich wird Belohnung oft mit Verstärker gleichgesetzt-... » Weiterlesen durch den Menschen, sondern durch das, was sich in der Umwelt verändert und was für das Pferd subjektiv lohnend oder angenehm ist: etwa das Erreichen eines bevorzugten Bereichs, Nähe zu Artgenossen oder einen Ortswechsel.
Um solche Verstärkermechanismen zu vermeiden, ist ein vorausschauender Trainingsaufbau entscheidend: möglichst kleinschrittig, mit kontrollierbarem Verhalten und in einem Erregungsbereich, in dem das Pferd noch ansprechbar und lernfähig bleibt. So lässt sich vermeiden, dass problematisches Verhalten durch starke Umweltverstärker stabilisiert wird, noch bevor eine gezielte GegenkonditionierungGegenkonditionierung ist eine Methode zur Gewöhnung an Reize, bei der eine bereits vorhandene emotionale Reaktion auf einen Reiz durch eine neue, positivere Reaktion ersetzt wird. Das Tier lernt, dass ein... » Weiterlesen oder Umlenkung möglich ist.
Typische Umweltfaktoren, die im Training als unbeabsichtigte oder gezielte Verstärker wirken können:
- Sichtkontakt zu anderen Pferden
- Bewegung in Richtung Stall oder Ausgang
- Öffnung eines Tores
- Schattenplatz oder luftiger Bereich als Verstärker an heißen Tagen
- Entfernung von Menschen oder Ausrüstung
- Beenden einer Übung in Richtung eines als angenehm empfundenen Orts
- „Schnüffeln“ am Boden
Diese Umweltfaktoren treten oft zusätzlich zu geplanten Verstärkern auf, können aber auch unbewusst in Konkurrenz zu ihnen stehen, insbesondere, wenn der Trainingsort oder das Training insgesamt nicht klar strukturiert ist. Wenn mir das Pferd in der Freiarbeit zum Beispiel häufig stiften geht oder durch Gerüche am Boden abgelenkt wird und lieber „herumschnüffelt“, so ist es sehr wahrscheinlich, dass damit auch unerwünschtes Verhalten verstärkt wird und sich wiederholt.
Gerade deshalb ist es so wichtig, sich ihrer Wirkung bewusst zu sein. Denn auch, wenn Umweltverstärker sich nicht immer ausschalten lassen, können Sie im Trainingssetting gezielt berücksichtigt werden. In manchen Fällen lassen sie sich sogar aktiv ins Training einbauen: Ein Pferd darf nach einer gelungenen Übung bewusst zum Ausgang, zur Bezugsperson oder zur Lieblingsstelle im Trainingsareal. In anderen Situationen ist es sinnvoll, potenziell verstärkende Umweltreize vorübergehend zu reduzieren oder gezielt zu kontrollieren, um störende Lernprozesse zu vermeiden.
Umweltverstärker erinnern daran, dass Verstärkung nicht allein durch das kommt, was der Mensch tut, sondern auch durch das, was sich für das Pferd in der Umwelt verändert, während oder nach dem Verhalten. Wer das erkennt, erweitert den Blick aufs Training und kann gezielter mit der Umgebung als stiller Mitspieler arbeiten.

Wenn Verhalten sich selbst verstärkt – Selbstwirksamkeit im Kontext des Premack-Prinzips
Manche Verhaltensweisen benötigen keinen äußeren Verstärker. Sie sind in sich selbst lohnend – für das Pferd angenehm, regulierend oder entlastend – und werden deshalb häufiger gezeigt. Dieses sogenannte selbstverstärkende Verhalten steht in enger Beziehung zu Umweltverstärkern und natürlich motivierten Verhaltensweisen, unterscheidet sich aber in einem zentralen Punkt: Die Verstärkung liegt im Verhalten selbst. Es braucht keine nachfolgende Konsequenz oder Umweltveränderung – die Handlung selbst wirkt positiv auf das emotionale oder körperliche Erleben des Pferdes.
Typische Beispiele sind Scharren beim Warten, Drängeln in Richtung Stall oder Herde, Kauen am Strick oder Bocken beim Reiten oder in der Freiarbeit. Auch wenn diese Verhaltensweisen nicht bewusst verstärkt werden, kann ihre Ausführung Anspannung abbauen, FrustrationFrustration ist eine emotionale Reaktion, die auftritt, wenn ein Lebewesen daran gehindert wird, ein erwartetes Ziel zu erreichen oder eine gewohnte Belohnung zu erhalten. Sie entsteht besonders dann, wenn ein... » Weiterlesen regulieren oder ein Gefühl von KontrolleControl (Kontrolle) ist ein fundamentales Grundbedürfnis, da sie einem Individuum die Möglichkeit gibt, aktiv Einfluss auf seine Umwelt und sein eigenes Verhalten zu nehmen. Kontrolle bedeutet, dass Handlungen vorhersehbare und... » Weiterlesen und Selbstbestimmung erzeugen. Besonders bedeutsam ist, dass diese Form der Verstärkung nicht nur auf das selbstverstärkende Verhalten selbst wirkt, sondern auch auf das unmittelbar vorher gezeigte Verhalten, in dessen Kontext es auftritt. Dadurch entsteht eine engmaschige und hoch wirksame Verstärkerkette, die sich rasch verfestigen kann.
Wenn ein Pferd z. B. regelmäßig beim Angaloppieren bockt und dadurch Spannung abbaut oder dem DruckDruck bezeichnet im Pferdetraining einen Reiz, der das Pferd zu einer bestimmten Reaktion veranlassen soll. Dieser kann physisch (z. B. Schenkeldruck oder Zügelzug) oder psychisch sein. Druck basiert oft auf... » Weiterlesen der Situation entkommt, wird nicht nur das Bocken selbst verstärkt, sondern auch der Angalopp als AuslöserEin Reiz, häufig auch Stimulus genannt, ist eine äußere oder innere Einwirkung, die ein Lebewesen wahrnimmt und die eine Reaktion auslösen kann, aber nicht muss. Reize können aus der Umwelt... » Weiterlesen kann mit dem Verhalten verknüpft werden. Über die Zeit werden diese beiden Verhaltensweisen vom Pferd möglicherweise nur noch zusammenhängend gezeigt. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Pferd immer dann scharrt, sobald es kurz stehen soll oder angebunden wird – unabhängig davon, ob zuvor etwas Belastendes oder völlig Neutrales passiert ist. Das Verhalten verselbstständigt sich innerhalb der Kette.
Selbstverstärkende Verhaltensweisen sind außerdem häufig Ausdruck von erlebter Selbstwirksamkeit. Das Pferd erlebt, dass sein Verhalten eine direkte Wirkung hat – es fühlt sich entlastet, sicherer oder handlungsfähig. Dieses Erleben kann dazu führen, dass das Verhalten auch in anderen Situationen als Lösungsmuster abgerufen wird, insbesondere wenn das Pferd keine klareren oder gezielteren Alternativen kennt oder gelernt hat.
Für das Training bedeutet das: Wenn solche Ketten unbemerkt entstehen, können sie sich tief festsetzen und dem eigentlichen Trainingsziel entgegenwirken. Da sie nicht auf externe Verstärker angewiesen sind, lässt sich ihr Aufbau oft erst spät erkennen – nämlich dann, wenn das Verhalten bereits zuverlässig abrufbar geworden ist, obwohl es nie gezielt verstärkt wurde. Umso wichtiger ist es, frühzeitig gegenzusteuern. Dazu gehört ein vorausschauender Trainingsaufbau mit gut vorbereiteten Aufgaben, niedriger Erregungslage und dem gezielten Aufbau steuerbarer Alternativen, die sowohl funktional als auch lohnend sind.
Im Kontext des Premack-Prinzips erweitert das Wissen um selbstverstärkende Verhaltensweisen den Blick auf Verstärker deutlich. Denn nicht nur geplante Verhaltensfolgen können verstärkend wirken – auch ungewollte, spontan auftretende Verhaltensmuster können sich in das Lernsystem einfügen und dabei Verhalten festigen, das aus Trainersicht eigentlich verhindert werden sollte.
Mehr als nur Futter: Verstärker sinnvoll kombinieren
Wer die unterschiedlichen Verstärkerarten kennt, kann sie nicht nur gezielt einsetzen, sondern auch sinnvoll miteinander kombinieren. So lässt sich eine deutlich größere Verstärkungswirkung erzielen als durch Futter allein. Gerade im Clickertraining, wo Präzision, Timing und Individualisierung eine zentrale Rolle spielen, bietet die bewusste Kombination aus natürlichen, erlernten und Umweltverstärkern ein vielseitiges und wirksames Werkzeug.
Dabei geht es nicht darum, einzelne Verstärker gegeneinander auszutauschen, sondern sie funktional aufeinander aufzubauen. Ein ruhiges Halten kann zum Beispiel mit einem Leckerli verstärkt werden, gefolgt von einem gewünschten Bewegungsimpuls wie dem Losgehen. Diese Bewegung wiederum führt in eine Richtung, die für das Pferd positiv besetzt ist – etwa zur Weide oder zur Herde. Die Verstärker greifen dabei ineinander, sodass das Pferd die vorausgehende Handlung mehrfach als lohnend erlebt.
Auch erlernte Verhaltensweisen auf Signal lassen sich auf diese Weise als Verstärker nutzen. Wenn ein Pferd nach einer herausfordernden Aufgabe ein gut trainiertes, leicht abrufbares Verhalten wie das Berühren eines Targets oder ein Rückwärtsschritt zeigt, kann dies zusätzlich verstärkend wirken – besonders dann, wenn anschließend ein Umgebungswechsel erfolgt, der für das Pferd attraktiv ist. So entsteht eine effektive Verstärkerkette, die sowohl Sicherheit als auch Motivation bietet.
Dabei ist es nicht notwendig, dass alle Verstärker gleichzeitig auftreten. Vielmehr kommt es darauf an, sie so anzuordnen, dass sie zur Situation, zum Trainingsziel und zum individuellen Pferd passen. Je besser sie aufeinander abgestimmt sind, desto nachhaltiger und wirksamer ist die Verstärkung.
Die klassische Belohnung aus der Hand wird in diesem Rahmen nicht ersetzt, sondern gezielt erweitert. Durch die Kombination mit weiteren Verstärkerarten erhält sie eine neue Qualität. Das Pferd erlebt sein Handeln als ganzheitlich lohnend und profitiert dabei nicht nur vom einzelnen Reiz, sondern vom Gesamtzusammenhang der Situation.
Gleichzeitig entstehen durch diese Kombination auch emotionale Vorteile. Vertraute Verhaltensabfolgen und vorhersehbare Konsequenzen geben dem Pferd Sicherheit und Orientierung. Motivierende Handlungsketten machen das Training nachvollziehbar und stärken die innere Bereitschaft, mitzuarbeiten. Wenn das Pferd erlebt, dass sein Verhalten Wirkung zeigt, wird ein Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit gefördert – ein zentraler Faktor für Vertrauen, Lernbereitschaft und Stressreduktion. Zudem lässt sich auf diese Weise gezielter auf emotionale Zustände reagieren, etwa indem ein Verhalten nicht mit Futter, sondern mit einem Ortswechsel oder einer Bewegungsmöglichkeit verstärkt wird.
So entsteht ein vielschichtiger Verstärkungsprozess, der das Training nicht nur stabiler, sondern auch emotional ausgewogener und individueller macht. Das Premack-Prinzip eröffnet damit weit mehr als nur die Möglichkeit, Verhalten mit Verhalten zu verstärken. Es schafft die Grundlage für ein Training, das sich an den Bedürfnissen des Pferdes orientiert – und dabei in seiner Wirkung weit über das reine Füttern hinausgeht.

Verstärkung mit Wirkung entsteht im Zusammenhang
Wer das Premack-Prinzip versteht, erkennt schnell, dass Verhalten nicht isoliert entsteht – und auch nicht isoliert verstärkt wird. Verhaltensweisen stehen immer in Beziehung zueinander, beeinflussen sich gegenseitig und werden durch nachfolgende Erlebnisse, Zustände oder Handlungen geformt. Genau deshalb ist es so wichtig, die verschiedenen Arten von Verstärkern bewusst einzuordnen und gezielt zu nutzen.
Die wichtigsten Verstärkerkategorien im Überblick:
- Primäre VerstärkerEin primärer Verstärker ist eine Belohnung, die für das Pferd von Natur aus angenehm und biologisch bedeutsam ist, wie Futter, Wasser oder Sozialkontakt zu anderen Pferden. Da ein primärer Verstärker... » Weiterlesen
Biologisch wirksame Reize wie Futter, die ohne vorheriges Lernen positiv wirken. Sie eignen sich besonders für den Aufbau neuer Verhaltensweisen und zur präzisen Markierung gewünschter Reaktionen. - Natürliche Verhaltensweisen
Handlungen wie Losgehen, Stehenbleiben oder Tempowechsel, die vom Pferd gern gezeigt werden. Diese können gezielt genutzt werden, um Verhalten im Bewegungsfluss zu verstärken und in Alltagssituationen einzubinden. - Erlernte Verhaltensweisen und Signale
Positiv aufgebaute Verhaltenseinheiten wie das Berühren eines Hand-Targets. Sie bieten Struktur, Sicherheit und lassen sich gut zur emotionalen Entlastung oder zum Abschluss anspruchsvoller Aufgaben einsetzen. - Umweltverstärker
Verstärkung durch Reize aus der Umgebung, zum Beispiel durch Ortswechsel oder die Nähe zur Herde. Sie wirken oft unbewusst, sind schwer kontrollierbar und spielen eine zentrale Rolle bei der Analyse von Problemverhalten. - Selbstverstärkende Verhaltensweisen
Verhalten, das sich durch seine Ausführung als angenehm erlebt wird, etwa Scharren oder Bocken. Es verstärkt nicht nur sich selbst, sondern häufig auch das vorangegangene Verhalten und kann sich zu festen Mustern entwickeln.
Verstärkung entfaltet ihre Wirkung besonders dann, wenn diese Elemente nicht unabhängig voneinander, sondern im Zusammenspiel eingesetzt werden. Dadurch entsteht ein Trainingsrahmen, der nicht nur wirksam, sondern auch nachhaltig ist. Doch gerade weil sich Verhaltensweisen gegenseitig beeinflussen, ist es entscheidend, sie nicht nur als Einzelelemente, sondern im Zusammenhang zu betrachten. Hier zeigt das Premack-Prinzip seine volle Bedeutung – und gleichzeitig seine Verantwortung.
Es ist weit mehr als ein cleveres Werkzeug, um Verhalten mit Verhalten zu verstärken. Es macht deutlich, dass Verhaltensweisen nie isoliert auftreten, sondern immer in Beziehung zueinander stehen – in einer Art stiller Hierarchie, die vom Pferd ganz individuell wahrgenommen wird. Was auf ein Verhalten folgt, prägt dessen Qualität, Häufigkeit und emotionale Färbung – oft subtil, aber wirkungsvoll.
Deshalb ist es so wichtig, als Trainerin oder Trainer nicht nur zu beobachten, was das Pferd tut, sondern auch wann und in welchem Zusammenhang. Wird auf ein Verhalten regelmäßig etwas erlebt, das das Pferd gerne tut oder erfährt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhalten künftig häufiger gezeigt wird. Das ist die Grundlage jeder positiven Verstärkung – und der Ausgangspunkt für die Anwendung des Premack-Prinzips.
Doch genauso können Verhaltensfolgen, die für das Pferd unangenehm oder wenig motivierend sind, eine entgegengesetzte Wirkung entfalten. Wenn beispielsweise auf ein gewünschtes Verhalten wie ruhiges Stehen immer wieder ein unbeliebter Handlungsablauf folgt, kann das langfristig dazu führen, dass das Pferd dieses Verhalten meidet oder nur noch mit Widerstand zeigt. In solchen Fällen verliert ein ursprünglich erwünschtes Verhalten an Wert oder wird im schlimmsten Fall sogar negativ belegt.
Der Fokus im Training sollte deshalb immer darauf liegen, Verhaltensabläufe so zu gestalten, dass sie Verständnis, Motivation und Kooperationsbereitschaft fördern. Das bedeutet: Signale bewusst setzen, Konsequenzen wohlüberlegt wählen und aufmerksam bleiben für die kleinen, oft übersehenen Verhaltensverknüpfungen im Alltag – jene, die unbemerkt verstärkend wirken oder im falschen Moment gegenteilige Effekte erzeugen.
Wer das Premack-Prinzip in diesem erweiterten Sinne versteht, beginnt, nicht nur zu verstärken, sondern Verhalten als System zu sehen. Ein System, das sich formenShaping ist ein Trainingskonzept, bei dem ein Verhalten schrittweise geformt wird. Das bedeutet, dass bereits kleine Ansätze des gewünschten Verhaltens verstärkt werden, bis das Tier das vollständige Verhalten zeigt. Das... » Weiterlesen, begleiten und fein abstimmen lässt – mit Aufmerksamkeit, Klarheit und dem Ziel, nachhaltiges, freudiges Lernen zu ermöglichen. Genau das macht gute Verstärkung aus: Sie wirkt nicht punktuell, sondern im Zusammenhang. Und sie beginnt mit Bewusstsein.
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