Dieser Artikel wurde am 11. Juni 2014 aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht!
Natural Horsemanship wird gerne als moderne Alternative pferdefreundlichen Umgangs beschrieben. Der faire und partnerschaftliche Umgang mit dem Pferd ist dabei geprägt von einem ethologischen Bild, bei dem es um Rangordnung und Dominanz als Grundlage der Beziehung geht. Doch ist diese Ansicht wirklich noch zeitgemäß oder sollten auch hier althergebrachte Gedankenmuster einer Prüfung auf Aktualität und unterzogen werden? Natural Horsemanship – Equo Vadis? Wer ist hier der Boss … und wen interessiert das eigentlich noch?
Der Begriff Natural Horsemanship ist in den letzten Jahren zu einem wahren Modewort geworden. Ein Sammelbegriff für das, was Menschen unter natürlichem und fairem Umgang verstehen, aber auch ein Zug, auf den so mancher aufspringt, der noch nicht erfolgreich sesshaft wurde.
Dabei haben sich verschiedene Richtungen herausgelöst, die unter dem Namen erfolgreicher Trainer propagiert und betrieben werden. Der Markt ist umkämpft und stellenweise überlaufen. Wie auch überall, gibt es hier gute und weniger gute Trainer, die sich mit dem fairen und natürlichen Umgang mit dem Pferd rühmen.
In der Regel bauen diese Arbeitsweise auf dem Prinzip einer Rangordnung zwischen Pferd und Mensch auf. Dabei soll das Pferd den Menschen als den Ranghöheren akzeptieren und so einen besonderen Status genießen, der dem Pferd nicht nur Respekt gegenüber dem persönlichen Raum des Menschen verschafft, sondern dem Pferd auch Sicherheit und somit Wohlgefühl geben soll. Schließlich braucht ein Herdentier eine Herde um sich sicher zu fühlen und ein Leittier, das führt, um artgerecht behandelt und trainiert zu werden. Diese Auffassung ist nicht neu, im Gegenteil, ihrer bedienten sich schon Trainer lange Zeit vor Monty Roberts und Pat Parelli. Natürlich entwickelten sich Technik und Einstellung auch in den letzten Jahren fortwährend weiter, doch in diesem einen Punkt blieb die Horsemanship Bewegung standhaft. Während andere Trainingsmethoden sich an aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen der Pferdeethologie orientieren, die das Existieren einer Rangordnung zwischen Pferd und Mensch klar widerlegen, sind das bestehen selbiger und der übergeordnete Begriff Dominanz noch immer die Grundlage, auf der diese Art des Trainings aufbaut. So muss man sich ernsthaft fragen, ob die Natural Horsemanship Bewegung diese Entwicklung verschläft oder ganz einfach ignoriert. Dies soll ganz klar kein Angriff gegenüber Anhänger des Natural Horsemanship sein – zu denen ich mich ebenso zähle – sondern dazu anhalten, sich mit dem Thema einmal näher zu befassen, wenn es schon die großen Vorbilder nicht tun!
Aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre die Erkenntnis, dass eine Rangordnung zwischen Pferd und Mensch gar nicht als solches existiert, fatal. Aber auch ideologisch dürfte es für die meisten zunächst eine Zwickmühle sein. Denn was würde passieren, wenn die Grundlage einer Ideologie ganz einfach nicht existent ist? Eine große, ersatzlose Lücke und jede Menge Unsicherheit. „Ist das, was ich tue, richtig? Bin ich wirklich so fair zu meinem Pferd, wie mir suggeriert wird?“ Sicherlich ist eine klare Linie für ein Pferd fairer als ein „heute hü – morgen hott“ Umgang, doch insbesondere dort, wo erheblicher Druck als Mittel zum Zweck bisher legitim war, um Verhalten abrufbar zu machen, entstünde eine moralische Fragwürdigkeit. Eine Phase 4 im Natural Horsemanship beschreibt die Anwendung von Druck, bis das Pferd das gewünschte Verhalten zeigt und stellt eine negative Verstärkung dar. Das Pferd lernt zu weichen, um dem Druck, der durchaus auch wehtun kann, zu entgehen. Weicht das Pferd nicht, wird in der Regel davon ausgegangen, dass das Pferd, dem die Verhaltensweisen aus der Herde durchaus bekannt seien, den Menschen nicht ausreichend respektiert. Das Leittier der Herde bzw. das ranghöhere Pferd, würde sich bei Verweigerung aversiv verhalten, was von Anspannung, über Anlegen der Ohren, Drohen und schließlich Beißen oder Schlagen reicht. Als Mensch mit Führungsanspruch wird dieses Verhalten nachgeahmt um seinen Führungsanspruch kundzutun und damit auch die Bedürfnisse des Pferdes nach Sicherheit und Komfort zu decken. Kein Pferd vertraut schließlich jemanden, der nicht weiß, was er will… Keine Frage, diese Technik funktioniert hervorragend, denn das Pferd lernt in jedem Fall das gewünschte Verhalten zuverlässig zu zeigen, wenn der Mensch über entsprechende Fähigkeiten verfügt. Denn irgendwann zeigt auch das stoischste Pferd einen Ansatz, den man für sich nutzen kann. Der Druck wird entfernt und das Pferd somit bestätigt. Eine Frage der Konditionierung und ein simples Beispiel für die Anwendung negativer Verstärkung, da als Bestärkung des Pferdes der Druck entfernt wird.
Betrachten wir dieses Vorgehen einmal vor dem Hintergrund, dass eine Rangordnung nicht existiert und das Pferd somit auch keinen Anspruch auf Führung uns gegenüber hegt, gehen wir davon aus, dass das Pferd auch keinerlei Idee hat unserer Aufforderung Folge zu leisten, nur weil wir dies auf eine bestimmte Art und Weise in einer bestimmten Position tun. Macht eine Anwendung von (schmerzhaftem) Druck überhaupt Sinn, wenn unser Gegenüber nicht weiß, was es tun soll? Meiner Meinung nach nicht, insbesondere nicht, wenn wir den Fairnessgedanken weiter pflegen möchten… Über sorgfältigen Aufbau lässt sich ein Weichen durchaus auch mit wenig Druck erreichen, so dass das Pferd lernt, unsere Signale (z. B. leichter Druck an der Hinterhand) als Information zu deuten. Indem wir dem Pferd zum Beispiel gerade zu Beginn mehr Zeit zu einer überlegten Reaktion geben und bereits bei der kleinsten Bewegung in die richtige Richtung den Druck entfernen und das Pferd loben, können wir den Druck und damit auch den Stress deutlich reduzieren. Bereits in diesem frühen Stadium wird eine wichtige Grundlage der Zusammenarbeit gelegt. Lernt das Pferd hier bereits, das Druck einen informativen Charakter hat, dem eine positive Einstellung zugrunde liegt und dieser keine weiteren, unangenehmen Folgen hat, gestaltet sich die Weiterarbeit ungleich angenehmer – für Pferd UND Mensch.
Natural Horsemanship sollte mehr sein, als die technisierte praktische Anwendung von negativer Verstärkung. Es sollte die Schüler mündig, fähig und wissend machen, die lerntheoretischen Grundlagen, insbesondere auch die, der operanten Konditionierung, in der Praxis zu erkennen und anzuwenden, auf dieser Basis zu hinterfragen und zu entscheiden, wann welche Anwendung sinnvoll und dem Pferd gegenüber fair ist. Leider musste ich in der Vergangenheit feststellen, dass häufig das Gegenteil der Fall ist und die Schüler bereits mit dem Auseinanderhalten der Verstärkungstechniken – positive und negative Verstärkung – überfordert sind. Damit entgehen ihnen nicht nur technische Mittel, das Pferd stress- und weitestgehend druckfrei auszubilden, es geht auch jede Menge Gefühl und Verständnis für das Schaffen von angenehmen Konsequenzen und einem pferdegerechten Übungsaufbau verloren. Denn nur wer sich der Mittel, die er anwendet, wirklich bewusst ist, kann diese auch ebenso bewusst und reflektiert einsetzen. Denn viel wichtiger, als der Gedanke einer Rangordnung zwischen Mensch und Pferd ist es, dem Pferd zu helfen, die richtigen Verhaltensweisen uns gegenüber zu zeigen. Stattdessen wird eine etwaige Diskussion über Rangordnung und Dominanz als Anlass genommen, mehr Druck auszuüben, als notwendig und fair. Das führte in den letzten Jahren leider vermehrt dazu, dass diese im Grunde genommen solide und durchaus praktikable Möglichkeit, mit Pferden zu arbeiten, in Verruf geraten ist. Gewalt ist niemals eine Lösung und Natural Horsemanship kein Freifahrtschein für groben Umgang mit dem Pferd.
Erfreulich ist hingegen, dass auch im klassischen Natural Horsemanship Bereich das Interesse an der Arbeit mit ehrlicher positiver Bestärkung und der Persönlichkeitsentwicklung des Pferdes wächst, so dass auch bei den bekannten Trainern eine durchaus unterstützenswerte Entwicklung zu sehen ist. Es bleibt also die Hoffnung, das die Grundlagen der Lerntheorie auch in diese Systeme bald Einzug erhalten werden und sich mehr Menschen mit diesen Themen auseinander setzen. Das dürfte auch die Fronten zwischen den verschiedenen „Lagern“ der Pferdebewegung weiter aufweichen, so alle Seiten und letztlich auch die Pferde davon profitieren werden.
Am Ende des Artikels dürfte klar sein, dass meine Auffassung von Natural Horsemanship losgelöst von einer Theorie über Dominanz und Rangordnung existiert. Vielmehr vereint es die Prinzipien des Natural Horsemanship mit dem Ansatz operanter Konditionierung. Natürlichkeit und Fairness in der Ausbildung ist somit kein Privileg einer Technik, sondern das bewusste Erkennen und Umsetzen des Lernverhaltens des Pferdes unter der Berücksichtigung der jeweiligen Pferdepersönlichkeit!
Wenn Sie nun neugierig geworden sind und sich mit den oben angesprochenen Themen näher befassen möchten, finden Sie in meinem Blog noch viele weitere, spannende Artikel. Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen hierbei meine Reihe über das Lernverhalten von Pferden, sowie den bereits erschienenen Artikel „Diskutierst du noch oder trainierst du schon?“
Weitere Denkanstöße finden Sie auch im lesenswerten Blog der Ethologin Marlit Wendt (Externe Website)