Dieser Artikel wurde am 18. Januar 2011 aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht!
Es ist schön zu sehen, dass in den letzten Jahren zunehmend mehr Wert auf eine gute „Erziehung“ des Pferdes gelegt wird. Gerade in alltäglichen Situationen wie Hufeauskratzen, Stehen bleiben beim Aufsteigen oder dem warten am Anbinder erleichtert eine gute Grunderziehung den Umgang sichtlich und sorgt für einen harmonischen Start. Nichts ist schlimmer für die Arbeitsatmosphäre als Stress schon bevor es wirklich losgeht. Das Bestreben der Pferdebesitzer zeigt sich deutlich an der immer noch vorhandenen Anzahl an Diskussionsthemen in Pferdeforen und Artikeln in Zeitschriften. Durch meinen Unterricht in anderen Ställen sehe ich häufig, dass dies in der Praxis jedoch nicht richtig umgesetzt wird und die verzweifelten Erziehungsversuche dann in einem unfairen Gewaltakt, mindestens aber in Frustration enden. Für beide Seiten weder erfreulich, noch lehrreich!
Während ich neulich auf eine Schülerin wartete, stand auf der Stallgasse ein großer, brauner Wallach. Seine Besitzerin wollte ihm die Hufe auskratzen und versuchte minutenlang vergeblich, diese aufzunehmen. Hatte Sie den Huf endlich in der Hand, dauerte es nur wenige Sekunden, bis ihr Pferd diesen wieder abgestellt hatte. Nachdem sie sich lautstark über dessen Selbständigkeit aufgeregt und ihn gestraft hatte, begann das Spiel von Neuem. Irgendwann war der Huf auch wieder in der Hand der Besitzerin und verblieb diesmal auch schon länger dort. Als sie aber nach 2 Minuten immer noch zu Gange ist, zieht das Pferd genervt und leicht aus dem Gleichgewicht kommend den Huf weg. Wieder wird sich aufgeregt und diesmal ist das Mädel richtig sauer. Sie schlägt mit der Fussspitze gegen den Huf und fordert das Pferd in mahnendem Ton auf, den Huf herzugeben. Es dauert, bis der Huf wieder in „ihrer Gewalt“ ist und diesmal schwor sie ihm, festzuhalten, bis er es endlich verstanden habe, dass sie bestimmt, wann er den Huf abzustellen habe. Und so kam es. Eine Minute vergeht – das Pferd kippelt schon leicht zur Seite. Noch eine weitere Minute vergeht, in dem die Besitzerin den Huf krampfhaft festhält. Nun hat das Pferd weder Lust, noch das Gleichgewicht, länger auf drei Beinen zu stehen. Es versucht sich zu befreien. Die Besitzerin hält fest. Das Pferd zieht an seinem Bein, bekommt es langsam mit der Panik zu tun. Die Besitzerin schreit ihr Pferd an, es solle stehen bleiben. Das Pferd steigt und bekommt ordentlich eins „auf die Mütze“. Die Besitzerin lässt das Bein los und beide stehen gestresst und gefrustet nebeneinander. Weder für das Pferd, noch für die Besitzerin war auch nur ein einziger, positiver Effekt bei der ganzen Geschichte. Als jemand sagte, das das nicht der richtige Weg sei, sagte sie nur, das „es ja wohl selbstverständlich ist“, dass das Pferd die Hufe anständig gibt.
Ähnliches passierte gleichwohl bei einer anderen Reiterin, die im Begriff war, auf ihr Pferd zu steigen. Sie führte ihr Pferd in die Hallenmitte, die Zügel über den Hals gelegt. Sie ließ die Zügel los, gurtete nach. Das Pferd setzte einen Schritt vor. Als die Reiterin gegurtet hatte, rügte sie das Pferd in dem sie ihn im Maul zog, es solle stehen bleiben. Sie legte die Zügel wieder weg und zog die Bügel mit einem lauten „Ratsch“ herunter. Das Pferd machte einen Satz nach vorn, als der Bügel gegen seinen Bauch schlug. Wieder zog sie dem Pferd im Maul und rügte es damit. Sie drehte den Bügel zu sich, setzte einen Fuß hinein und das Pferd setzte sich in Bewegung. „Bleib stehen“ tönte es durch die Halle, eine Frau neben ihrem Pferd hüpfend. Das Pferd blieb stehen und wurde wieder für sein Ungehorsam gestraft. Die Reiterin nahm die Zügel an, setzte zum nächsten Schwung an und wieder setzte sich das Pferd in Bewegung. Das gleiche Thema. Nun war sie wirklich sauer. Sie nahm die Zügel so weit auf, das das Pferd keinen Schritt mehr tun konnte. Dafür riss das Pferd entsetzt den Kopf hoch und sperrte das Maul auf. Ja, diesmal blieb es stehen. Die Reiterin schwang sich unsanft in den Sattel und ritt zugleich – immernoch wütend – los und schmiss die Zügel weg. Nun, welchen positiven Lerneffekt hat dieses Ereignis nun für das Pferd gehabt? Das Pferd hat zuletzt gelernt: stehen bleiben ist mindestens unangenehm, schließlich werde ich dafür gestraft, wenn ich loslaufe, dann lässt man mich jedoch in Ruhe. (Hier sieht man übrigens auch wieder sehr schön, dass sich so schnell Verhaltensketten ergeben, auf die wir eigentlich gar nicht achten …) Allerdings scheint es wohl selbstverständlich, dass das Pferd beim Aufsteigen stehen bliebe. Das hat es schließlich irgendwann mal so gelernt.
Diese beiden laufen so oder ähnlich vermutlich täglich in Reitställen ab. Es zeigt doch ganz deutlich, dass diese für uns so wichtigen Selbstverständlichkeiten eben doch nicht so selbstverständlich sind. Nur weil wir etwas für selbstverständlich halten, ist es das für unsere Pferde nicht. Dabei kann man wohl zwei Fälle unterscheiden. Beim ersten Beispiel hat das junge Pferd vermutlich nie gelernt, dass es für uns selbstverständlich ist, die Hufe zu geben. Und mit dieser Methode, wird sich das vermutlich auch nicht ändern. Woher soll es denn wissen, dass es Hufe höflich geben und aufnehmen lassen soll und sie dann auch solange oben hält, bis wir fertig sind? Hat es das gelernt? Wie soll es das denn lernen, wenn wir ihm immer nur sagen, was es nicht tun soll, nie aber, was richtig ist. Lob ist so wichtig im Umgang mit Pferden, denn Lob gibt dem Pferd immer auch eine Alternative zu seinem – in unseren Augen – „Fehlverhalten“. Wenn wir das Pferd nicht dafür Loben, wenn es den Huf aufgegeben hat, auch wenn es noch so lange dauert, wird es auch nicht verstehen, das dies die gewünschte, richtige Reaktion ist. Genauso wie es anfangs eben nicht funktioniert, das Bein solange festzuhalten, bis das Pferd stillsteht. Dann wird es das Hufe geben nämlich nicht mit Positivem verbinden, sondern es als belohnend sehen, endlich das Bein abgestellt zu haben. Auch bei Selbstverständlichkeiten ist es wichtig, sie Schritt für Schritt zu lehren. Man sollte nicht abwarten, bis man ein Fehlverhalten strafen muss, sondern schon vorher ein richtiges Verhalten, sei es manchmal auch noch so gering, loben.
Beim zweiten Beispiel, war das Stehen bleiben beim Aufsteigen sicher einmal Teil der Grundausbildung des Pferdes. Ab da wurde es dann für selbstverständlich gehalten und die Konsequenz beim Aufsteigen vernachlässigt. Stand das Pferd einmal nicht still, wurde sich schnell in den Sattel geschwungen. Wenn es dann doch einmal still stand, dann war es selbstverständlich – Loben nicht nötig. So lange, bis sich das Verhalten soweit verschlechtert hatte, dass das Aufsteigen zu einer Strapaze wurde – für Pferd und Reiter.
Im Umgang mit Pferden sollte uns stets bewusst sein, dass ein einmal erlerntes Verhalten sich auch wieder verschlechtern oder sogar ganz ausgelöscht werden kann, wenn wir es nicht zumindest hin und wieder bestärken. Es ist also sinnvoll, auch die kleinen Unachtsamkeiten konsequent zu korrigieren und richtiges Verhalten zu loben – auch wenn dies für uns scheinbar selbstverständlich ist. Denn: Wer rechtzeitig lobt, braucht nicht zu strafen.
Über Kommentare und eure Meinung freuen wir uns 😉
Ich arbeite ebenfalls mit positiver Verstärkung mit meiner Friesenstute Fayble, sie ist noch roh und braucht viel zeit und geduld. Fehler werden verziehen und ignoriert, einfach wieder von vorne beginnen.ich arbeite zum teil nach parelli (7 spiele), habe aber auch viele prinzipien von frederic pignon übernommen , ich arbeite überwiegend auf basis der freiwilligkeit, Fayble darf auch mal nein sagen, dann geht’s an einem anderen tag eben weiter, mein credo ist : ALLES KANN NICHTS MUSS! mein pferd ist kein sportgeraet für mich sondern mein freund und partner!
Dieser Artikel trifft den Nagel auf den Kopf.
Ich habe dieses Fehverhalten (der Reiter/Besitzer) auch an den Ställen bemerkt und fragte mich immer wieder wie ignorant manche Menschen sein können. Ich „bestrafe“ mein Pferd niemals und wenn er in meinen Augen einen Fehler macht, dann handhabe ich das genauso wie in dem vorigen Kommentar beschrieben: es wird ignoriert und man geht ruhig wieder in die Ausgangsposition und es wird erneut versucht bis es eben funktioniert. Pferde sind nicht dumm, ganz im Gegenteil! Die meisten lieben es neue Sachen zu erlernen und noch dazu lernen sie diese sehr schnell. Aber man muss ihnen klar und deutlich erklären was man möchte, es sind doch keine Hellseher!
Aus aktuellem Anlass kann ich auch sagen: 100% richtig. Ich muss nämlich gestehen, dass ich in letzter Zeit etwas „schludrig“ geworden bin, manches als Selbstverständlichkeit nicht mehr explizit gelobt und von meinem Vierbeiner praktisch umgehend die Quittung dafür bekommen habe. Seit ich da wieder drauf achte, „funktioniert“ es wieder.
Wobei ich aber feststelle, dass etliche „Pferdeleute“ in meinem Umfeld das übertrieben finden. Auf der anderen Seite sind die aber glaube ich schon ein bisschen neidisch, dass ICH keine 3 Leute brauche, die mein `Pferd „fixieren“ müsseb, während ich aufsitze
Selbstverständlichkeit ist in jeder Beziehung schädlich 😉 Auch unter Menschen 🙂
Liebe Sady,
ein sehr schoener Artikel. 🙂
Ich bedanke mich immer bei meinem Pferd, wenn es zum Beispiel den Kopf zum auftrensen runter nimmt, die Hufe gibt oder zur Seite geht wenn ich es mit leichtem Beruehrungen an der Schulter oder Kruppe bitte einen Schritt seitwarts zu machen, damit ich fegen kann o.ä.. Dieses schlichte Danke kennt sie mittlerweile als Lobwort. Ich bedanke mich ja auch bei Menschen wenn sie mich vorbeilassen oder mir einen Gefallen tun. 🙂
Ich denke vielleicht nicht immer dran, aber ich versuche es so oft wie moeglich. 😉
Es kostet mich nur ein schlichtes DANKE und er weiss, dass er es gut gemacht hat….
Viele Gruesse
Annette