Dieser Artikel wurde am 22. März 2022 aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht!
Über positive Verstärkung lernt das Pferd, sich wie gewünscht zu verhalten. Das Training kann dabei sämtliche gebräuchliche Hilfen und Signale enthalten, die auch im konventionellen Training verwendet werden und welche systematisch und im Vorfeld konditioniert werden. Dabei ist Köpfchen gefragt, denn nicht jedes Verhalten wird vom Pferd bereits gezeigt und kann belohnt werden. Viele Verhaltensweisen müssen Schritt für Schritt trainiert werden. Vom Ansatzverhalten bis zum fertigen Signal ist es oft ein langer Weg. Auch beim Training mit negativer Verstärkung, dauert es entsprechend lange, ein stabiles Verhalten zu trainieren. Mit dem Unterschied, dass hier häufig bereits mit dem Zielverhalten begonnen wird. Während bei der positiven Verstärkung für die Vorhandwendung zunächst eine Gewichtsverlagerung als lobenswerter Verhaltensansatz dankbar angenommen würde, wird der Druck im Training mit negativer Verstärkung häufig erst dann weggenommen, wenn das Pferd bereits einen oder sogar mehrere Schritte ausgeführt hat. Die Motivation und Arbeitshaltung des Pferdes unterscheidet sich grundlegend. Zwar freut sich auch ein konventionell trainiertes Pferd über gelegentliche Leckerlis, es arbeitet jedoch in erster Linie, um Druck oder dessen Vorstufe zu vermeiden und hat gelernt zu reagieren. Ein über positive Verstärkung trainiertes Pferd hat jedoch gelernt zu agieren und arbeitet für die Belohnung, ohne dass zuvor Druck angewandt wurde.
Die eigenen Fähigkeiten richtig einschätzen um Druck zu vermeiden
Im Umgang mit positiver Verstärkung ist es wichtig, die Fähigkeiten des Pferdes (und seine eigenen) gut einzuschätzen, um nicht in Situationen zu geraten, in denen wir massiven Druck anwenden müssen, weil das Pferd dieser Anforderung noch nicht gewachsen ist. Wer sein Pferd etwa am langen Strick über eine grüne Wiese führen möchte, der muss dies zuvor entsprechend trainieren. Wer dies nicht im Vorfeld berücksichtigt hat, tut gut daran, nicht am langen Strick über eine grüne Wiese führen zu wollen – oder sein Pferd so zu führen, dass es seinen Kopf gar nicht ins Gras stecken kann und es zu unschönen Auseinandersetzungen kommt (das nennt man dann Management …). Denn wenn das Pferd sein Maul doch unerwünschterweise ins frische Grün steckt, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, da das Pferd bereits durch den ersten, gefressenen Grashalm eine falsche Information erhalten hat: „Auf einer grünen Wiese kann ich auch am Seil ungehindert fressen!“. Auch, wenn wir diese Situation ohne Druck auflösen, hat das Pferd nun eine falsche Information abgespeichert. Ähnliches passiert auch in anderen Situationen immer dann, wenn Anforderungen zu schnell oder zu hoch gesteigert werden und Verhalten zuvor nicht ausreichend trainiert wurde.
Positive Verstärkung lässt Pferde mutig und reflektiert reagieren
Doch auch mit ausreichendem Training kann es passieren, dass wir von unbekannten oder unerwarteten Gegebenheiten überrascht werden, die wir vorher nicht trainiert haben. Schließlich lebt keiner von uns mit seinem Pferd in einem abgeschlossenen Labor. Das Pferd wird täglich einer Vielzahl von Reizen und Herausforderungen ausgesetzt, die wir unmöglich alle trainieren können. Umso wichtiger ist es, durch die Arbeit mit positiver Verstärkung eine gute Beziehung zum Pferd herzustellen, so dass es sich in ängstigenden und schwierigen Momenten gerne an uns wendet. Positive Verstärkung fördert das Selbstbewusstsein des Pferdes und ermutigt Pferde und Mensch vor Problemen nicht – im wahrsten Sinne des Wortes – davon zu laufen, sondern nach Lösungen zu suchen, da der Mensch nicht jeden Schritt vorgibt oder fortwährend korrigiert! Durch die anspruchsvolle mentale Beschäftigung, arbeitet das Pferd intensiv auf der denkenden Ebene und deutlich weniger auf der instinktiven Ebene, da es angeregt wird, sich mit der Aufgabe tatsächlich auseinander zu setzen. Dies hilft auch in Krisensituationen, die Nerven zu behalten. Warum hingegen, sollte sich das Pferd jemandem anvertrauen, der es durch mehr Druck darin bestätigt, dass diese Situation tatsächlich unangenehm oder gar gefährlich ist. Pferde fühlen sich sicher und geborgen, wenn wir ihnen positive Erlebnisse mit uns verschaffen und das Lernen in positiver Hinsicht pferdegerecht gestalten, nicht, weil wir Ihnen unseren Willen aufzwingen oder sie durch Druck dazu bringen, unsere Wünsche zu erfüllen. Für das Pferd macht es keinen Unterschied, ob wir es gerade „erziehen“ oder ihm einen tollen, neuen Trick beibringen möchten. Pferde lieben Konsequenz und Berechenbarkeit – beides finden sie in Ihrem mit positiver Verstärkung arbeitendem Menschen zuhauf.
Wenn es wirklich mal hart auf hart kommt und wir keinen anderen Ausweg mehr wissen – weil wir uns oder andere Schützen müssen, dann findet ohnehin kein Training statt. In einer solchen Situation ist kein nachhaltiges Lernen möglich. Es ist sinnvoll, eine solche Situation so „schön“ wie möglich zu beenden. Steht das Pferd auf meinem Fuß ist dies selbstverständlich schmerzhaft und genauso selbstverständlich versuche ich mein Pferd dann, falls meine Signale versagen, auch unter körperlicher Einflussnahme von meinem Fuss herunter zu schieben – ohne dem Pferd vorsätzliches Handeln oder Verweigern zu unterstellen. Ist mein Pferd im Begriff aus Panik auf die Hauptstrasse zu rennen, ist mir jedes Mittel recht, es davon abzuhalten. Dazu muss ich zuvor nicht mit Druck den Ernstfall geprobt haben, denn mechanische Einwirkung und Fähigkeit, aus Angst vor mehr Druck zu reagieren, sind jedem Lebewesen angeboren. Eine solche Situation geht immer auf Kosten der Beziehung – unabhängig vom Trainingsansatz. Fragen sollte man sich hinterher, wie es dazu kommen konnte und was schiefgelaufen ist, um solche Situationen zukünftig zu vermeiden.
Pferde sind auch nur Menschen – „Fehler“ sind keine Bankrotterklärung an die Beziehung
Ein solches „Versagen“ von Beziehung und Training ist unabhängig von einer Rangordnung oder der Trainingsform und keinesfalls eine Bankrotterklärung der Pferd-Mensch-Beziehung. Es ist „pferdisch“. Es kann passieren, egal wie viele positive oder negative Erfahrungen das Pferd im Training bereits gemacht hat. Der Glaube, durch Zwang oder Druck im Training könne dies verhindert werden ist selten realistisch betrachtet und häufig einer falschen Ethik geschuldet. Denn genauso wie auch wir Menschen reagieren Pferde zeitweise instinktiv. Und wer gerade damit beschäftigt ist, sein Leben zu retten, der kann dabei auch schon mal kopflos werden und bereits Gelerntes kurzfristig vergessen. Als Pferd unter Menschen ist es legitim, zunächst einmal seine eigene Haut zu retten, denn das Pferd trägt keine Verantwortung für das Miteinander. Sein Verhalten ist die Reflexion unseres Trainings in Verbindung mit Umweltreizen. Der Mensch hingegen, trägt die Verantwortung für das Wohlergehen des Pferdes – und genauso wie wir, fühlen sich Pferde am wohlsten, wenn sie ernst genommen und geachtet werden und stressfrei lernen können, was wir für richtig halten.
Über die Autorin
Hallo! Mein Name ist Sylvia Czarnecki und ich bin Trainerin für Pferd und Mensch. Meine Passion ist das Arbeiten mit positiver Verstärkung.
Fröhlich und undogmatisch unterstütze ich Sie in Alltag und Training und gemeinsam legen wir die Grundlage für ein harmonisches und motiviertes Miteinander.
Lernen Sie ihr Pferd von einer ganz anderen Seite kennen und intensivieren Sie die Partnerschaft zu Ihrem Pferd mit meiner Hilfe.