Verhaltensketten sind im Clickertraining ein natürlicher Bestandteil. Sie entstehen, wenn ein Tier mehrere Aktionen in einer bestimmten Reihenfolge ausführt, bevor es eine Belohnung erhält. Jede Aktion wird durch die nachfolgende verstärkt, bis am Ende der Click und die Belohnung stehen. Dieses Konzept erlaubt es, komplexe Verhaltensweisen in kleinen Schritten zu vermitteln und ist für fortgeschrittenes Training enorm wichtig.
Doch diese Ketten können problematisch werden, wenn sich unerwünschte Elemente einschleichen. Ein Pferd, das vor dem erwünschten Verhalten beispielsweise scharrt oder drängelt, wird diese Aktionen ebenfalls in die Kette aufnehmen, wenn sie unbewusst verstärkt werden. In diesem Artikel erfährst du, wie solche Verhaltensketten entstehen, warum sie problematisch sind und mit welchen Strategien du sie erfolgreich vermeidest oder korrigierst.
Was sind Verhaltensketten?
Eine Verhaltenskette ist, vereinfacht gesagt, eine Reihe von Aktionen, die ein Pferd in einer meist festgelegten Reihenfolge ausführt, um eine Belohnung zu erhalten. Jedes Verhalten innerhalb der Kette wird durch das nächste Verhalten verstärkt, bis die abschließende Belohnung erfolgt.
Verhaltensketten finden sich an vielen Stellen des Trainings wieder, ohne, dass Sie von uns häufig als solche Wahrgenommen werden. Im Grunde genommen ist jedes Verhalten, dass im Training in seine Einzelteile zerlegt wird, eine Aneinanderreihung mehrere Einzelverhalten, bis es am Ende das Zielbild darstellt. Beim Auskratzen der Hufe z. B. lernt das Pferd erst einmal, dass das Anfassen von Bein und Huf keine Bedrohung darstellt, bevor es lernt, dass es den Fuß heben soll. Daran schließt das Aushalten der Übung an, während der Mensch den Huf bearbeitet und das Abstellen auf ein bestimmtes Signal. Ist das Zielverhalten „fertig“, erhält das Pferd am Ende der Kette eine Belohnung.
Verstärker als Grundlage für Verhaltensketten
Die Grundlage für das Verständnis und den Aufbau, sowohl von erwünschten als auch von unerwünschten Verhaltensketten ist neben dem Verständnis von „Shaping“, das Verständnis für den Aufbau von Signalen. Durch die Verknüpfung mit einem primären Verstärker, werden Signale und Verhaltensweisen, die mit positiver Verstärkung trainiert wurden, selbst zu Verstärkern. Sekundäre Verstärker sind dabei jene Verstärker, die ihre Wirkung durch die direkte Verknüpfung mit primären Verstärkern (wie Futter) erhalten, so zum Beispiel der Clicker oder ein Markerwort: durch die wiederholte Kopplung mit Futter wird der Clicker zu einem Signal, das dem Pferd vermittelt, dass ein Verstärker folgen wird.
Tertiäre Verstärker entstehen, wenn Signale oder Verhaltensweisen, die durch sekundäre Verstärker etabliert wurden, selbst belohnend wirken. Nehmen wir ein beliebiges Lieblingsverhalten des Pferdes, z. B. ein einfaches Verhalten wie das Berühren eines Targets mit der Nase oder das Heben eines Vorderbeines. Wenn das Verhalten oft genug mit einem primären Verstärker gekoppelt wurde, entwickelt es eine eigenständige, verstärkende Wirkung und kann ebenso als Verstärker für Verhalten dienen. (Siehe auch Artikel zum Thema Premack Prinzip)
Für den Aufbau von erwünschten Verhaltensketten gibt es verschiedene Techniken, an welcher Stelle welche Form der Verstärker erfolgt. Am Ende dient jedoch jedes Verhalten innerhalb der Kette als Grundlage für die nächste Aktion und wird durch diese verstärkt, während die abschließende Verstärkung das Gesamtverhalten erhält und meist den primären Verstärker beinhaltet. So sieht zumindest das Idealbild einer gut trainierten und erwünschten Verhaltenskette aus.
Zugegeben, in der Theorie klingt das ganze ziemlich komplex und in der Praxis kommt du meistens auch irgendwie ohne das Hintergrundwissen ans Ziel. Spätestens aber, wenn einem die erste unerwünschte Verhaltenskette begegnet, landet du wieder am Anfang und muss sich mit den darunterliegenden Mechanismen näher befassen.
Wie entstehen unerwünschte Verhaltensketten?
Zusammengefasst entstehen unerwünschte Verhaltensketten, wenn zufällige oder unerwünschte Verhaltensweise ebenfalls Teil der Verhaltenskette werden. Oft fällt dies eine ganze Weile nicht auf, weil du sehr auf das Zielverhalten fokussiert ist. Geht es dann ans Finetuning und wird das Zielverhalten auch nach längerem Training immer noch von unerwünschten Verhaltenssegmenten begleitet, ist fast immer eine unerwünschte Verknüpfung mit im Spiel.
Signale als Verstärker für unerwünschtes Verhalten
Ein typisches Beispiel für eine unerwünschte Verhaltenskette ist ein Pferd, das trotz zuverlässigem Stillstehen am Anbindeplatz immer noch scharrt, sobald du die Dauer steigern möchte oder sich kurzfristig etwas anderem als dem Pferd zuwendet. Die Ursache ist häufig, das Zappeln oder Scharren des Pferdes zu beenden, indem du das Signal für das Stillstehen gibt und das anschließende Stillstehen ggf. auch belohnt. Selbst, wenn dies nur hin und wieder belohnt wird, haben sowohl das Signal selbst, als auch das Stehen und die anschließende Belohnung eine verstärkende Wirkung. Durch das Phänomen der variablen Verstärkung, bei der ein Verhalten nur hin und wieder primär verstärkt wird, kann sich dieser Effekt sogar noch verstärken.
Im Grunde genommen trainiert das Pferd hier den Menschen, denn es hat gelernt, dass das Scharren bewirkt, dass sich der Mensch ihm zuwendet und das Signal für das Stillstehen gibt. Hierauf folgt dann, wie vom Menschen vorgesehen, das ruhige Stehen und darauf wiederum ein weiterer Verstärker. Der Aufbau ist also der gleiche, der auch bei der erwünschten Verhaltenskette gilt: Ein Verhalten gilt als Voraussetzung für ein nachfolgendes Verhalten. In diesem Fall wurde jedoch verknüpft, dass Scharren die Grundvoraussetzung für das Stillstehen ist – maximal ungünstig.
Die langfristige Wirkung von Signalen als Verstärker unterscheidet sich deutlich von anderen Ursachen. Das Signal selbst wird durch wiederholte Nutzung und Belohnung zu einem Verstärker. Das unerwünschte Verhalten entsteht also durch die Reaktion auf das Signal und die anschließende Belohnungskette. Hier macht es besonders Sinn sich zu fragen: Welche Funktion hat das unerwünschte Verhalten (in diesem Fall „Zappeln“) für das Pferd und warum wird es auch weiterhin gezeigt.
Mitverstärkung von unerwünschtem Verhalten
Eine weitere Ursache ist das Mitverstärken von unerwünschtem Verhalten, während du sich dem Zielverhalten annähert. Gerade als Einsteiger ins Clickertraining ist du erst einmal sehr auf das Zielbild fixiert und blendet all die Kleinigkeiten, die noch nebenbei passieren, gerne aus. Irgendwann möchte du dann das Zielverhalten präzisieren und es fällt einem auf, dass du neben dem eigentlichen Verhalten auch noch ein paar Nebenschauplätze eröffnet hat.
Ein schönes Beispiel ist z. B. das Trainieren mit einer Vorhandwippe. Hierbei steht das Pferd mit den Vorderbeinen auf einer Wippe und soll diese durch das Verlagern des Körperschwerpunkts nach links und rechts bewegen. Ein sehr häufig auftretendes Problem ist hierbei, dass das Pferd zum Bewegen der Wippe auch das jeweilige Vorderbein hebt, statt sich nur auf das Verlagern des Gewichts zu fokussieren und beide Beine am Boden bzw. der Wippe stehen zu lassen. Oder dass zum Bewegen einer Ganzkörperwippe erst einmal der Hals angehoben oder sogar der Kopf hochgeworfen wird, damit sich das Gewicht so verlagert, dass sich die Wippe vor und zurück bewegt.
An dieser Stelle möchte ich gerne Nina Steigerwald zitieren und sagen: „Trainiere das Pferd, nicht die Wippe“ 😉 Aber auch erfahrene Trainer machen gerne den Fehler, zu denken, dass du das Zielverhalten am Ende noch verfeinern kann und nehmen unerwünschtes Verhalten daher billigend in Kauf. Das kann funktionieren, aber auch zu großer Frustration auf beiden Seiten führen, wenn du versucht, diese vermeintlichen Kleinigkeiten wieder loszuwerden. Da das ignorierte bzw. nicht korrigierte Fehlverhalten Teil des Gesamtverhaltens wird, ist es schwer, dem Pferd klar zu machen, welcher Teil des Verhaltens unerwünscht ist.
Im Unterschied zu Signalen als Verstärker entsteht das unerwünschte Verhalten hier allmählich durch das Tolerieren oder Übersehen bestimmter Verhaltensweisen im Trainingsverlauf. Es handelt sich um einen schleichenden Prozess, bei dem das Pferd falsche Zusammenhänge lernt, weil die Aufmerksamkeit des Trainers zu stark auf das Endziel gerichtet ist.
Falsches Timing und unpräziser Trainingsaufbau
Zwar sind auch die beiden vorangegangenen Gründe eine Frage des richtigen bzw. falschen Timings, aber falsches Timing kann auch für sich alleinstehend ein Grund für eine unerwünschte Verhaltenskette sein. „What you click is what you get“, also „Du kriegst, was du klickst”, ist eine beliebte Redewendung für Clickertrainer und hat schon den ein oder anderen zum Haareraufen gebracht.
Ein Click im falschen Moment kann den gesamten und gut geplanten Trainingsaufbau ruinieren, weil das Pferd das falsche Verhalten mit dem Click assoziiert. Ein häufiges Szenario ist etwa das Scharren eines Pferdes, während es sich in Richtung eines Targets bewegt. Wenn der Click erfolgt, sobald das Ziel erreicht ist, aber das Scharren noch nicht vollständig beendet wurde, assoziiert das Pferd das Scharren mit dem Erfolg.
Ein weiterer Aspekt, der mit falschem Timing zusammenhängt, ist das Phänomen des sogenannten „Superstitious Behavior“ (abergläubisches Verhalten). Dieses tritt auf, wenn ein Tier zufällige Aktionen mit einer Belohnung assoziiert, obwohl diese nicht kausal miteinander verbunden sind. Im Kontext von Verhaltensketten kann dies ein großes Problem darstellen, da das Tier glaubt, dass ein zufälliges Verhalten notwendig ist, um die Belohnung zu erhalten.
Wenn beispielsweise der Click während einer unbewussten Kopfbewegung oder einem Scharren erfolgt, assoziiert das Pferd diese Aktion mit dem Erfolg. Dieses Verhalten wird dann in die Kette integriert, obwohl es nicht Teil des Zielverhaltens ist. Da Verhaltensketten auf der Annahme basieren, dass jede Aktion eine klare Verstärkung durch die nachfolgende erhält, kann „Superstitious Behavior“ die gesamte Kette verfälschen und unerwünschte Elemente fest verankern.
Das Problem verschärft sich, weil solche zufälligen Verhaltensweisen oft schwer zu identifizieren und zu eliminieren sind. Sie werden nicht gezielt trainiert, sondern schleichen sich unbemerkt ein, wenn das Timing nicht präzise ist. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, den Click exakt im richtigen Moment zu setzen, um sicherzustellen, dass nur das gewünschte Verhalten verstärkt wird.
Der Unterschied zum Mitverstärken von unerwünschtem Verhalten liegt darin, dass falsches Timing ein punktueller Fehler ist, während die Mitverstärkung von Verhalten sich häufig auf Verhaltensweisen innerhalb des gesamten Ablaufs bezieht. Das unerwünschte Verhalten steht bei falschem Timing oft am Anfang der Kette, während es bei der Mitverstärkung auch innerhalb der Verhaltenskette auftreten kann.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Die genannten Ursachen für unerwünschte Verhaltensketten haben sowohl Überschneidungen als auch klare Unterschiede. Gemeinsam ist ihnen, dass unerwünschte Verhaltensweisen durch ungenaue Verstärkung in den Trainingsprozess integriert werden. In allen Fällen resultiert dies aus einem Mangel an Präzision und strukturierter, sorgfältiger Planung, sei es beim Timing, der Signalgebung oder der Planung des Trainingsprozesses.
Die Unterschiede liegen vor allem in der Art, wie das unerwünschte Verhalten Teil der Kette wird:
- Signale als Verstärker wirken langfristig, da sie durch wiederholte Nutzung und Belohnung selbst zur Verstärkerwirkung gelangen. Das unerwünschte Verhalten wird durch die Reaktion auf das Signal verstärkt.
- Mitverstärkung von Verhalten geschieht allmählich, wenn der Fokus zu sehr auf dem Endziel liegt und unerwünschte Verhaltensweisen im Prozess toleriert oder übersehen werden.
- Falsches Timing hingegen ist ein punktueller Fehler. Ein Click im falschen Moment markiert ein unerwünschtes Verhalten direkt und belohnt es unbeabsichtigt.
Auflösen und Korrigieren von unerwünschten Verhaltensketten
Ich wünschte, ich könnte euch an dieser Stelle nun sagen, dass du das Problem ganz einfach lösen kann, aber die Korrektur von unerwünschten Verhaltensketten ist ein anspruchsvoller und oft langwieriger Prozess, insbesondere wenn diese Verhaltensweisen bereits eine lange Belohnungshistorie haben. Es erfordert Geduld, sorgfältige Planung und eine klare Strategie, um solche Ketten wieder loszuwerden.
Verhalten neu aufbauen
Die beste und zuverlässigste Option ist es, das Verhalten komplett neu aufzubauen, also zurück auf Anfang. Vorher sollte hierfür ein genauer Trainingsplan und Kriterien für die Verstärkung definiert bzw. der ursprüngliche Trainingsplan dahingehend erweitert werden. Es ist dabei nicht ausreichend nur zu definieren, wann welches Verhalten verstärkt wird, sondern insbesondere auch festzuhalten bzw. sich Gedanken dazu zu machen, wie du reagiert, wenn das Pferd nicht wie erwartet reagiert. Ich kann an dieser Stelle wirklich empfehlen, dies schriftlich festzuhalten, da es so einfacher ist, mögliche Schwachpunkte aufzufinden.
Im Trainingsaufbau sollte hier selbstverständlich der Fokus darauf gelegt wird, das Zielverhalten so kleinschrittig und sicher aufzubauen, dass das unerwünschte Verhalten gar nicht erst gezeigt wird. Hierbei kann es hilfreich sein, den Kontext – also z. B. den Ort oder die Ausrüstung – zu ändern oder Management Maßnahmen vorzunehmen, die es dem Pferd erleichtern, das richtige Verhalten zu zeigen und mögliches Fehlverhalten eingrenzen bzw. einschränken oder bestenfalls unmöglich machen.
Natürlich muss das Verhalten nicht auf die gleiche Art und Weise neu aufgebaut werden. Möglich und durchaus empfehlenswert ist es, das Verhalten nicht nur von Grund auf neu, sondern auch über einen neuen, alternativen Weg zu trainieren und so einen komplett anderen Kontext zu erschaffen.
Wenn möglich, sollte hier erst einmal ohne gezielte Signalgebung gearbeitet werden. In jedem Fall sollte das ursprüngliche Signal hier nicht mehr gegeben werden, da es mit dem bereits fehlerhaften Verhalten verknüpft ist. Grundsätzlich ist es möglich, nach der Korrektur das alte Signal erneut zu etablieren, besser ist es allerdings aufgrund der Vielzahl bereits erfolgter Verstärkungen später ein neues Signal für das „saubere Verhalten“ einzuführen. Falls für das Training unbedingt ein Signal notwendig ist, kann du hier ggf. ein Übergangssignal verwenden, welches du später durch das finale Signal ersetzt.
Nehmen wir als Beispiel hier noch einmal das am Anbindeplatz zappelnde Pferd: Um das Verhalten zu korrigieren, verlagern wir das Training an einen anderen Platz, der bisher möglichst wenig „Geschichte“ hat, z. B. ein anderer, entfernter Anbindeplatz. Hier bauen wir das Verhalten kleinschrittig neu auf. Die Intervalle sind dabei so kurz gehalten, dass das Zappeln gar nicht erst auftritt. Weitere „Störfaktoren“ oder Kriterien werden sukzessive hinzugenommen, sobald der vorherige Schritt bombensicher sitzt. Bevor das Pferd nicht ruhig stehen kann, wenn ich mich an jedweder Position in Reichweite befinde, entferne ich mich keinen Millimeter weiter vom Pferd weg. Bevor das Pferd nicht ruhig steht, ohne dass ich mich bewege, beginne ich nicht, mich zu bewegen. Und so weiter.
Löschen und negative Strafe
Üblicherweise ist Training nicht perfekt und Menschen machen Fehler, so dass es wahrscheinlich vorkommen wird, dass das Pferd das unerwünschte Verhalten aus der Verhaltenskette auch hier zeigt. Damit umzugehen ist eine Frage der eigenen Fähigkeiten und der Persönlichkeit des Pferdes. Eine Variante ist es, das Training zu unterbrechen, sich kurz aus dem Bereich des Pferdes zu entfernen oder zumindest passiv zu verhalten und erst wieder in das Training einzusteigen, wenn das Pferd einige Sekunden stillsteht. Dies kann jedoch dazu führen, dass das Pferd erst einmal vermehrt herumzappelt oder stärker scharrt, da wir uns jetzt in einem Löschvorgang befinden und der so genannte Löschungstrotz entsteht: Das Pferd drückt die Fernbedienung fester, weil es denkt, es müsste nur lange und ausdauernd genug „betteln“, damit es zum Ziel kommt. Diese Variante sollte du nur wählen, wenn du den Löschungstrotz auch wirklich aussitzen kann und bereit ist, dies auch immer wieder zu tun, wenn das Fehlverhalten auftritt. Es ist eine relativ simple, anerkannte und weit verbreitete Methode, mit unerwünschtem Verhalten umzugehen, unabhängig davon, ob es sich um ein solitäres Fehlverhalten oder ein Verhalten innerhalb einer Verhaltenskette handelt. Aber es birgt auch Nachteile, derer du sich bewusst sein sollte.
Alternativen zum Löschen
Negative Strafe, wie z. B. das Wegdrehen oder Abbrechen des Trainings und Löschungstrotz sind für das Pferd sehr stressig und wir bewegen uns in einem Bereich der Strafe. Anders als positive Strafe, bei der ich etwas Unangenehmes als Konsequenz hinzufüge, etwa einen Klaps, lässt negative Strafe zwar Raum für neue Ideen und Verhaltensweisen des Pferdes, erklärt aber dem Pferd nicht, was es stattdessen tun soll.
Daher präferiere ich hier stets dem Pferd eine bessere Alternative als das unerwünschte Verhalten anzubieten. Zunächst müssen wir jedoch aus dem Fehlverhalten herauskommen, damit wir von neuem Beginnen können. Hier nutze ich z. B. gerne ein einfaches Alternativverhalten, wie z. B. das Berühren der Hand oder eines Targets mit dem Maul. Durch das Abfragen des Alternativverhalten unterbreche ich das Verhalten des Pferdes. Unmittelbar danach rufe ich dann mein Basisverhalten „Nullposition“ ab und starte erneut mit dem Aufbau des Verhaltens. Hierzu ist es einerseits erforderlich, dass das Pferd das „Abbruchverhalten“ bereits gut kennt, andererseits muss das Basisverhalten bereits eine enorm hohe Belohnungshistorie haben und absolut zuverlässig und prompt gezeigt werden. Das Wichtigste ist jedoch, dass es sich hierbei um eine Ausnahme handelt und wir einen Plan haben, wie wir nach dem Abbruch weitermachen können, ohne dass das Pferd das Fehlverhalten in der neuen Kette zeigt. Ansonsten haben wir sehr schnell das gleiche Problem einer unerwünschten Verhaltenskette erneut, da wir auch hier unabhängig von unserer guten Absicht das Fehlverhalten verstärken – mit dem geringstmöglichen Verstärker (Siehe auch Artikel zum Thema Abbruchsignale: Least Reinforcement Scenario).
In beiden Fällen gilt: Wenn unser Plan nicht funktioniert oder wir nicht weiterwissen: Trainingsbereich verlassen bzw. Training unmittelbar beenden und einen neuen Plan machen. Wohl dem, der vorgesorgt hat und das Pferd dann in eine (Fress-)Pause schicken kann, während er sich Gedanken macht.
Verstärkung des Zielverhaltens nur ohne unerwünschte Elemente
Eine weitere Option ist es, dass Zielverhalten nur noch dann zu verstärken, wenn es ohne die unerwünschten Elemente gezeigt wird. Dies kann effektiv sein, wenn das unerwünschte Verhalten innerhalb der Kette nur selten gezeigt wird, birgt aber auch das Risiko, dass das unerwünschte Verhalten variabel verstärkt wird und weiterhin auftaucht oder das Pferd das Kriterium für die Verstärkung nicht versteht. Leider wissen wir nie genau, was das Pferd mit dem Signal verknüpft, wenn es bereits mehrere Verhaltensweisen im gleichen Kontext gezeigt hat. Es besteht also das Risiko, dass diese Variante keinen Erfolg hat oder sehr langwierig in der Korrektur ist, da du ungewollte Verstärkung hier kaum ganz vermeiden kann.
Eine Variante hierzu ist differentielle Verstärkung, bei der die Wertigkeit der Belohnung für richtiges Verhalten variiert wird. Dies kann z. B. durch unterschiedlich hochwertige Belohnung geschehen, indem es z. B. sehr hochwertiges oder viel Futter für das Zielverhalten ohne unerwünschtes Verhalten in der Kette gibt und weniger hochwertiges Futter für das Zielverhalten mit unerwünschten Elementen. Ebenso kann auch der Aufwand für Zielverhalten mit unerwünschten Elementen erhöht und deren Wert dadurch geschmälert werden, weil das Pferd zum Erreichen der Belohnung mehr Energie benötigt. Der Vorteil darin liegt, dass das Pferd hier stets eine Belohnung erhält und so weniger frustriert sein wird. Der Nachteil liegt in jedem Fall darin, dass es einen erfahrenen Trainer braucht und dennoch entsprechend lange dauern kann, bis du das Zielverhalten „aufgeräumt“ hat.
Was tun, wenn ein Neuaufbau nicht möglich ist?
Im besten Fall handelt es sich natürlich um ein Verhalten, auf das wir während des Neuaufbaus verzichten können. Leider sieht die Realtität oft anders aus und es handelt sich um ein Verhalten, dass wir im Alltag benötigen, wie z. B. das schon genannte Stillstehen. In diesem Fall empfiehlt es sich, das ursprüngliche Verhalten in seinem Kontext zu belassen und die Fehlerquote möglichst gering zu halten, während das Verhalten in einem anderen Kontext mit neuen Signalen neu aufgebaut wird.
Im ursprünglichen Kontext sollte mit Managementmaßnahmen und geringeren Anforderungen versucht werden, die fehlerhafte Kette einzudämmen. Meine Empfehlung ist hier, sich Gedanken zu machen, ob die Verhaltenskette z. B. nur in einem bestimmten Kontext auftritt und ob du diesen Kontext wirklich unbedingt benötigt. Z. B. lassen sich bereits allen benötigten Gegenständen bereits am Anbinder platzieren, so dass du das Pferd gar nicht erst allein lassen muss, wenn dies zum Scharren oder Herumzappeln führt. Zwar kann das ruhige Stehen gezielt verstärkt werden, wenn möglich ist es jedoch sinnvoller, auch dies so weit wie möglich zu umgehen, um ungewollte Verstärkung zu vermeiden und unerwünschte Verhaltensweisen wie Scharren konsequent zu ignorieren, also weder zu bestrafen, noch zu belohnen werden.
Ist keiner der Varianten möglich, kann ein Heunetz oder eine Schubkarre mit Heu während der Zeit dazu dienen, das Pferd „ruhig zu stellen“ und gleichzeitig ruhiges Verhalten zu verstärken – allerdings nur, wenn dies nicht weitere unerwünschte Verhaltensweisen triggert.
Unerwünschte Verhaltensketten bei problematischem Verhalten
Eine Besonderheit stellen unerwünschte Verhaltensketten bei problematischem Verhalten dar. Hierbei geht es vor allen Dingen um Verhalten, dass in einem emotionalen Kontext gezeigt wird. Dabei ist es erst einmal erst einmal unerheblich, ob die Verstärkung negativ oder positiv ist. Ein Beispiel hierfür ist z. B. das Stehenbleiben bzw. Parken. In der Ausgangssituation fürchtet sich das Pferd möglicherweise oder fühlt sich unwohl in der Situation und bleibt deshalb stehen. Der Mensch gibt daraufhin das Signal für das Losgehen. Zu Beginn des Trainings wird das Signal für das Losgehen möglicherweise noch gar nicht als Verstärker wahrgenommen, weil das Pferd sich gerade in einem emotionalen Status befindet und dafür nicht empfänglich ist. Mit der Zeit tritt jedoch ein Gewöhnungseffekt ein und der ursprüngliche Auslöser tritt in den Hintergrund. Stattdessen greift nun das Signal als Verstärker und das Pferd verknüpft, dass es durch das Anhalten bewirken kann, dass der Mensch das Signal für das Losgehen gibt und es dadurch eine Belohnung erhalten kann. In diesem Fall haben wir eine unerwünschte Verhaltenskette mit folgenden Elementen: Stillstehen führt zum Signal für das Losgehen > führt zum Losgehen > führt zu Verstärkung. Das Ausdehnen der Dauer bzw. Distanz der Laufstrecke wird so mit der Zeit immer schwieriger, da das Stillstehen für das Pferd lohnender ist. Fazit: Das Pferd „parkt“ mehr, als dass es läuft. Das Stillstehen wurde positiv verstärkt.
Eine weitere, beliebte Variante ist, dass das Pferd sich losreißt, z. B. weil es vor etwas Angst hat oder eine Aufgabe aus anderen Gründen nicht ausführen kann. Im Training mit positiver Verstärkung kommt dies vor allen Dingen dann vor, wenn das Pferd mit der Situation überfordert ist und wir uns schon nicht mehr im Bereich der positiven Verstärkung befinden. In diesem Fall stellt das Losreißen eine negative Verstärkung dar, weil ein unangenehmer Reiz entfernt wird. Noch deutlicher ist dies im Training mit negativer Verstärkung sichtbar, da hier zusätzlich noch ein angenehmer Anreiz führ das Zielverhalten fehlt.
In beiden Varianten haben wir jedoch Verhalten in unserer Verhaltenskette, was wir an dieser Stelle nicht gebrauchen können. Da wir nicht sicher ausschließen können, dass das Pferd nicht doch ein emotionales Problem hat und das unerwünschte Verhalten für uns problematisch sein kann, empfiehlt es sich hier mit einem Basisverhalten zu arbeiten, das außerdem anzeigt, ob das Pferd der Situation gewachsen ist und größtmögliche Verstärkung gewährleistet. Ein solches Basisverhalten kann auch hier die Nullposition darstellen. Bestenfalls hat das Verhalten so viel Historie, dass das Pferd das Verhalten von sich aus anbietet oder nach kurzer Aufforderung prompt zeigt. So können wir sicherstellen, dass das Pferd sich noch nicht in einem emotionalen Ausnahmezustand befindet und auf das Folgesignal reagieren kann. Verstärkt wird das Basisverhalten hier nämlich nicht mit Marker und folgendem Primärverstärker, sondern mit dem Signal für das gewünschte Verhalten – ohne unerwünschtes, vorangestelltes Verhalten in der Kette. Reagiert das Pferd prompt, folgt dann Marker und primärer Verstärker. Auf dieser Basis wird das Verhalten nun, wie auch bei der ursprünglichen Korrektur, neu aufgebaut.
Bei problematischem Verhalten ist es außerdem stets eine gute Idee, das Zielverhalten auf mehrere Arten und Weisen zu trainieren und hierfür ggf. auch mehrere Signale für das gleiche Zielverhalten zu haben. So ist es durchaus möglich, das Losgehen mit verschiedenen Signalen zu trainieren, z. B. Stimmsignal, Handsignal, Target, Matte usw. So bekommen wir mehr „Masse“ auf das gewünschte Verhalten, ohne das unerwünschte Verhalten in der Kette zu riskieren und können dann später, im ursprünglich problematischen Kontext, das Verhalten sauber abrufen und sorgfältig neu trainieren.
Unerwünschte Verhaltensketten vermeiden
Ein systematischer und durchdachter Trainingsaufbau hilft, klare Signale und Verhaltensmuster zu etablieren, sodass unerwünschte Verhaltensketten gar nicht erst auftreten. Das spart nicht nur Zeit und Energie, sondern bewahrt auch die Beziehung zwischen Trainer und Pferd vor möglicher Frustration.
Klare Kriterien und Strukturen schaffen
Der erste Schritt zur Vermeidung unerwünschter Verhaltensketten ist die genaue Definition des Zielverhaltens. Was soll das Pferd tun, und wie soll das Verhalten aussehen? Wann wird verstärkt und wann nicht? Wie viele Wiederholungen eines Trainingsschritt ohne Fehler benötigt es, damit du im Plan voranschreitest? Wie verhältst du dich im Falle eines Fehlers und wie führst du das Training fort? Indem du dir ein klares Bild machst, kannst du dein Training so strukturieren, dass jedes Element sauber aufgebaut wird. Und auch hier kann ich nur betonen, den Trainingsplan zu verschriftlichen, insbesondere, wenn du noch nicht viel Erfahrung im Training hat.
Trainiere immer nur ein Kriterium zurzeit und überlege dir, wann du die Schwierigkeit steigerst oder ein neues Kriterium hinzufügst – du kannst dir nicht aussuchen, welches Verhalten du verstärkst, du verstärkst immer jegliches Verhalten im Gesamtkontext.
Präzises Timing und Beobachtung
Training ist ein Handwerk und erfordert neben einer genauen Planung einiges an Übung. Beobachte genau, was und wann du clickst und stelle durch das Training deiner eigenen Fähigkeiten sicher, dass dein Timing präzise ist und du über eine gute „Daumendisziplin“ verfügst, also auch nur dann markerst, wenn das von dir erwünschte Verhalten gezeigt wird. Bereits ein Bruchteil einer Sekunde kann darüber entscheiden, ob das Pferd das richtige Verhalten oder eine unerwünschte Aktion mit dem Verstärker verknüpft. Achte auf subtile Signale, die darauf hindeuten, dass sich unerwünschte Elemente einschleichen könnten. Durch frühzeitige Korrektur kannst du verhindern, dass diese Verhaltensweisen Teil der Kette werden, die du später mühsam wieder anpassen musst.
Vermeide „Mitleidsclicks“, bei denen du halbherziges Verhalten oder für die Bemühung des Pferdes clickst. Ein bereits gezeigtes Verhalten wirst du immer wieder erhalten, während ein falsch gesetzter Click für eine Menge Stress für dich und das Pferd bedeuten kann. Im Zweifel also lieber einen Click verpassen, statt später ein unerwünschtes Verhalten löschen zu müssen.
Signale und Verstärkung gezielt einsetzen
Klare und konsistente Signale sind entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden. Jedes Signal sollte eindeutig und unverwechselbar sein, damit das Pferd genau weiß, was von ihm erwartet wird. Achte besonders darauf, Signale nicht in Momenten zu geben, in denen das Pferd unerwünschtes Verhalten zeigt, da diese unbeabsichtigt verstärkt könnten. Die beste Prävention ist hier ein Basisverhalten als Grundvoraussetzung und indirektes Kooperationssignal für dass Signal zu etablieren – bevor das Pferd das Basisverhalten nicht zeigt, schreitet das Training nicht voran. So verstärkst du nicht nur das Basisverhalten als „Rückfall-Verhalten“ für Fälle, in denen das Pferd nicht weiß, was es tun soll, sondern stellst außerdem auch sicher, dass dein Trainingsaufbau sauber ist und das Pferd aufnahmefähig ist.
Dass Verhalten nur dann verstärkt wird, wenn es sich um erwünschtes Verhalten handelt, versteht sich zwar von selbst, aber auch hier gilt: Im Zweifelsfall, z. B. bei einem Fehlklick, nicht belohnen. Verstärkt wurde durch den Click bereits und ein „gelöschter Click“ ist im Zweifel fairer als das Ausbügeln von fehlerhaftem Verhalten.
Management und gute Lernumgebungen schaffen
Gezielte Managementmaßnahmen können Fehlverhalten verhindern. Am Putzplatz herumliegende Dinge oder ein hoher Ablenkungsgrad können es deinem Pferd erheblich erschweren, das richtige zu tun. Das ruhige Stehen ohne Scharren zu trainieren, während der Nachbar nebendran gerade sein Futter bekommt, ist ebenfalls keine gute Idee. Stattdessen kannst du mit einem satten Pferd in ruhiger Atmosphäre deutlich zielführender trainieren. Training unter Ablenkung ist einer der letzten Trainingsschritte.
Trainingsunterbrechungen planen
Überlege dir, wann du Pausen in dein Training einbaust und wie du diese gestaltest. Zu lange Trainingseinheiten oder zu hohe Anforderungen führen schnell zu Konzentrationsproblemen auf beiden Seiten und damit zu unerwünschten Verhaltensweisen, die leicht verstärkt werden können.
Überlege dir auch, wie du Trainingsunterbrechungen einleitest, wenn das Training nicht so läuft, wie geplant. Auch, wann du das Training beendest, kannst du bereits vorher entscheiden. Es ist ein Mythos, dass du das Training immer mit einem guten Ergebnis beenden muss, insbesondere dann, wenn du mit positiver Verstärkung trainiert. Hier ist es im Zweifel stets besser das Training zu beenden, statt weiterhin unerwünschtes Verhalten „mitzunehmen“.
Überforderung vermeiden
Körperliche oder mentale Überforderung führen häufig zu anfänglich subtilen Abweichungen vom Zielverhalten. Eine schiefe oder zu hohe Kopfhaltung kann anfänglich aus körperlichem Unvermögen resultieren und sich dann so duifestieren, dass Sie Teil der Kette wird – entweder zu Beginn oder im Gesamtkontext. Ohren anlegen durch anfänglich empfundenen Stress kann dazu führen, dass das Ohren anlegen als Teil der Anforderung wahrgenommen wird. Eine „stampfender“ Ausführung des spanischen Schrittes, weil das Pferd sich nicht ausreichend trägt, produziert am Ende gerne „spanischen Stampf“ anstelle eines erhabenen Ganges – what you click is what you get!
Langfristige Vorteile der Prävention
Die Vermeidung unerwünschter Verhaltensketten durch präventive Maßnahmen spart nicht nur Zeit und Energie – die Auseinandersetzung mit dem Training als solches macht auch einen besseren Trainer aus dir und verbessert die Beziehung zu deinem Pferd. Fehler im Training lassen euch zwar auch zusammenwachsen, beinhalten aber dennoch immer auch Stress und Frustration, die die Beziehung unnötigerweise belasten. Für eine gute Beziehung braucht es keine Fehler oder Korrektur.
Prävention ist besser als Korrektur
Die Vermeidung und Korrektur unerwünschter Verhaltensketten im Clickertraining erfordert Geduld, Präzision und einen strukturierten Ansatz. Prävention bleibt dabei das wichtigste Werkzeug, denn durch klare Signale, präzises Timing und eine sorgfältige Planung kannst du deinem Pferd die bestmögliche Unterstützung bieten. Auch wenn unerwünschte Verhaltensweisen auftreten, bieten gezielte Anpassungen und eine konsequente Trainingsstrategie die Möglichkeit, diese nachhaltig zu korrigieren. Denke daran, dass jedes Training nicht nur ein Fortschritt im Verhalten, sondern auch eine Gelegenheit ist, die Bindung zwischen dir und deinem Pferd zu stärken. Mit diesen Prinzipien im Hinterkopf wirst du langfristig ein harmonisches, erfolgreiches und stressfreies Training genießen können.