Als Trainer mit positiver Verstärkung wird man häufig mit dem Argument konfrontiert, dass Pferde im Umgang miteinander vor allen Dingen über negative Verstärkung kommunizieren und dies daher die natürlichere Form der Kommunikation sei.
Training über negative Verstärkung bedeutet, dass das Pferd belohnt wird, indem ein unangenehmer Reiz entfernt wird. Hierzu wird in der Regel zunächst ein unangenehmer Reiz hinzugefügt, gesteigert oder aufrechterhalten. Im weiteren Verlauf reicht es dann aus, das entsprechende Kommando zu geben, damit das Pferd reagiert, da dieser als Ankündigung dient, dass ggf. eine Maßnahme erfolgt, wenn es sich nicht wie gewünscht verhält. Die Konsequenz von Nicht-Reaktion ist hierbei das Hinzufügen von etwas Unangenehmen (positive Strafe).
Bei der Arbeit mit positiver Verstärkung hingegen, folgt auf ein ohne Druck initiiertes Verhalten ein angenehmer Reiz, etwas für das Pferd erstrebenswertes, so dass es das Verhalten zukünftig häufiger anbieten wird und man es mit einem Signal verknüpfen kann. Reagiert das Pferd nicht wie gewünscht, bleibt eine Belohnung aus; ggf. wird sogar etwas Angenehmes als „Strafe“ entfernt, wenn z. B. der Mensch die Trainingsumgebung verlässt (negative Strafe).
Positive und negative Verstärkung im Herdenzusammenschluss
Denkt man nun über das Zusammenleben von Pferden nach, so fallen einem tatsächliche viele Situationen ein, in denen Pferde mittels negativer Verstärkung miteinander kommunizieren. Möchte ein Pferd verhindern, dass ein anderes in seinen Raum eindringt oder diesen verlässt, so wird es z. B. mit einer milden Androhung von körperlichen Konsequenzen beginnen und ggf. sogar körperliche Konsequenzen folgend lassen, falls notwendig. Hierbei geht es in erster Linie um die Verteidigung von Ressourcen wie z. B. Futter, Wasser, bestimmte Plätze oder auch den eigenen Raum. Durch das Verlassen des Raumes oder das Überlassen der Ressource wird hierbei der Unterlegene durch das Nachlassen des Drucks belohnt. Und auch der situativ dominante Part wird belohnt, da er mit seiner Aktion erfolgt hatte. Ein Teil des Verständnisses der Körpersprache ist hierbei durchaus genetisch veranlagt, der größte Teil ist jedoch im Laufe des Lebens durch Erfahrung erlernt. Einer der Gründe für eine gute Aufzucht, denn Versäumtes ist später nur schwer nachzuholen und endet mit schlechter Sozialisierung.
Doch auch die positive Verstärkung spielt im Alltag des Pferdes eine große Rolle. Da sie aber weniger „sichtbar“ ist, wird sie von uns oftmals auch nicht wahrgenommen. Als Herdentier ist das Zusammensein mit Artgenossen ein sehr hochwertiger Verstärker. Hierzu gehört Körperkontakt, Fellpflege und Interaktion, wobei das Ausmaß und die Gestaltung hier von Pferd zu Pferd sehr unterschiedlich ausfallen können. Weitere Verstärker sind Futter und Wasser. Die (freiwillige) Interaktion mit Artgenossen ist stets ein Akt positiver Verstärkung. Hierbei geht es sowohl um Fellpflege, als auch um das Zulassen von Körperkontakt und Nähe, das gemeinsame Fressen, das bei Regen und Wind Zusammenstehen. Aber auch ganz alltägliche Handlungen wie das Senken des Halses zum Fressen, das Aufspringen zur Fortpflanzung oder Befriedigung sexueller Bedürfnisse, das Folgen eines Tieres, weil dieses sich in der Vergangenheit als Lohnenswert erwiesen hat oder das auf sich nehmen langer Wege für Futter und Wasser.
Zweckbasiertes Lernen
Beide Lernvarianten sind also in ausreichender Form im Alltag des Pferdes präsent und können daher auch von uns Menschen zum Training genutzt werden – sie funktionieren, weil sie natürlich sind. Hierbei sollte jedoch berücksichtigt werden, wann das Pferd diese Varianten für sich nutzt. So tritt negative Verstärkung im Alltag des Pferdes für das erlebende Pferd immer mit Vermeidung in Verbindung und geht auch mit einer entsprechenden Gemütshaltung einher. Übt ein Artgenosse also Druck aus, wird sich sein Gegenüber überlegen, ob sich eine Konfrontation lohnt und dann entscheiden, ob er seinerseits „Maßnahmen“ ergreift. Einer der beiden verlässt im Normalfall am Ende die Situation durch „Flucht“. Übertragen auf unser Training mit dem Pferd kommt hier der Faktor „Begrenzung“ dazu, der dem Pferd in Kombination mit Druck erklärt, welches Verhalten wir letztlich von ihm möchten. Für das Pferd verfolgt dies jedoch keine weiteren Ziele, denn erst das Hinzufügen eines unangenehmen Reizes, macht diese Situation für das Pferd lohnenswert, indem dieser wieder entfernt wird. Die Möglichkeit zu einem realistischen „Nein“ bleibt hierbei nicht – in der freien Natur allerdings, würde das Pferd der Konfrontation in den meisten Fällen aus dem Weg gehen, indem es die Situation verlässt und nicht, in dem es überlegt, welches das von seinem Gegenüber erwünschte Verhalten ist und die Situation zu reflektieren. Dazu bedarf es keiner Übung – das Vermeiden von Druck ist natürlich. Das Training über negative Verstärkung ist also vor allen Dingen dazu gemacht, die Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen, was zumindest zu einem Teil auch nachvollziehbar ist.
Die positive Verstärkung kommt im Leben eines Pferdes häufig dann zum Tragen, wenn es darum geht, eigene Ziele und Annehmlichkeiten zu verfolgen, ohne dass zuvor Handlungsbedarf bestand (durch z. B. Eindringen in den persönlichen Raum oder Ressourcenstreitigkeiten). Bei der Arbeit mit positiver Verstärkung haben wir als Mensch die Möglichkeit, das Zusammensein mit dem Pferd auch für das Pferd anhand seiner Bedürfnisse lohnenswert zu gestalten. Auch hier arbeiten wir auch mit Ressourcen, die für das Pferd nicht frei verfügbar sind, so dass auch hier Rahmenbedingungen zum Lernen geschaffen werden und das Verhalten nicht in jedem Fall „Selbstbestimmt“ ist. Es erfordert vom Menschen einiges an Umdenken, sich auf diese Möglichkeit des Trainings einzulassen, da vieles so grundlegend anders ist als im konventionellen Umgang. Begonnen von der Gestaltung des Trainings, um überhaupt erst einmal Verhalten zu trainieren, ohne Druck auszuüben, über das Erhalten dessen und die Reaktion, wenn erwünschtes Verhalten nicht ausgeführt ist.
Die Möglichkeit, „Nein“ zu sagen
In beiden Varianten – sowohl bei der Arbeit mit negativer Verstärkung als auch bei der Arbeit mit positiver Verstärkung – ist zuverlässig abrufbares Verhalten das Ziel. Und in beiden Fällen arbeiten wir mit Bedürfnissen des Pferdes. Die Macht der Verstärkung und vorausgegangener Erfahrung sollte hierbei nicht unterschätzt werden.
Bei der Arbeit mit negativer Verstärkung muss der Konflikt, sich gegen den Verstärker (also das Nachlassen des Drucks) zu entscheiden schon sehr hoch sein, damit das Pferd diese in der Regel erfolglose Handlung in Erwägung zieht. Selbst wenn der Mensch auf Tagesform und Rückfragen des Pferdes versucht einzugehen, so wird das Pferd zukünftig immer seltener „Nein“ sagen, wenn es gelernt hat, dass hierauf eine unangenehme Konsequenz folgt – nämlich das Aufrechterhalten oder Steigern des Drucks. Ohne diese Maßnahme ist nämlich kein zuverlässiges Verhalten möglich.
Bei der positiven Verstärkung ist die die Möglichkeit, sich gegen den Verstärker – also z. B. Futter – zu entscheiden, unter normalen Trainingsbedingungen jedoch weitaus wahrscheinlicher, da das Pferd weder unter Hunger leidet, noch über Druck zu einem „Mach es trotzdem!“ getrieben wird. Wird das gewünschte Verhalten nicht ausgeführt, muss der Mensch das Training anpassen. Das Pferd entscheidet also zu einem Teil durchaus selbst, wie wichtig ihm die Ressource ist und ob das von uns gewünschte Verhalten von ihm ausführbar ist.
Innere Motivation durch selbstbestimmtes Handeln
Als „führender“ Teil der Pferd-Mensch-Kombination haben wir im Training die Möglichkeit, nicht nur das Verhalten sondern auch die innere Haltung des Pferdes zu beeinflussen. Sicherlich gibt es Situationen, in denen dies nicht immer ganz zufriedenstellend verlaufen kann (vorwiegend dann, wenn gerade kein Training möglich ist und es darum geht, Deeskalierend einzuwirken), diese sollten uns jedoch nicht davon abhalten, neben der physischen Gesundhaltung auch die Psyche unseres Pferdes stets mit einzubeziehen.
Die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg zu innerer (intrinsischer) Motivation. Man sollte niemals unterschätzen, wie hochwertig die Möglichkeit „Nein“ zu sagen und somit selbstbestimmt zu Handeln das Verhalten selbst und vor allen Dingen auch die Einstellung und Haltung zum menschlichen Trainingspartner verstärkt. Der Respekt vor dem Pferd zeigt sich auch im Respekt vor dessen „Nein“ und dem Umgang damit. Ein „Nein“ muss kein endgültiges sein, wohl aber eine Möglichkeit zur Reflexion seines Vorgehens, wie es zu einem „Ja, das schaffe ich!“ umgestaltet.