Viele Pferdebesitzer möchten eine harmonische Beziehung zu ihrem Tier aufbauen – doch oft stehen traditionelle Konzepte wie die Dominanztheorie diesem Ziel im Weg. Lange Zeit galt die Vorstellung, dass der Mensch als „Herdenchef“ auftreten müsse, um das Pferd zu führen. Doch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass diese Annahme nicht nur überholt, sondern sogar hinderlich sein kann. Was bedeutet das für den täglichen Umgang mit Pferden? Welche Alternativen gibt es, die auf Vertrauen statt Unterordnung setzen? Dieser Artikel beleuchtet die Missverständnisse rund um die Dominanztheorie und zeigt, wie eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Pferd gelingen kann. 

Warum uns Dominanz nicht weiterhilft

Als ich vor vielen Jahren begann, mich auf eine andere Art mit Pferden auseinanderzusetzen, war das vorherrschende Bild von der Idee geprägt, der Mensch müsse das ranghöchste Tier in der fiktiven Zweierherde sein. Nur als kompetenter Leader könne das Pferd sich dem Menschen anschließen, der als „Chef im Ring“ seine Position verteidigt. Vor dem Hintergrund natürlicher Herdenkonstellationen klang das plausibel, und so verteidigte ich fortan meinen „Rang“.

Da viele Menschen es mir gleichtaten und das Konzept in der Praxis funktionierte, fühlte ich mich in meinem Ansatz bestätigt. Doch wohlgefühlt habe ich mich oft nicht damit. In der Praxis bedeutete es, Regeln durch Strafe durchzusetzen, das Pferd zu begrenzen und zu regulieren, wenn es nicht gehorchte. Dabei wollte ich doch eigentlich eine freundschaftliche Beziehung – kein Arbeitsverhältnis, in dem das Pferd sich mir unterordnet. Doch man kann nur handeln, wie es das eigene Wissen zulässt. Also blieb ich dabei, in dem Glauben, das Beste für mein Pferd zu tun.

Was sagt die Wissenschaft?

Heute belegen verschiedene Studien, dass eine artübergreifende Rangordnung zwischen Mensch und Pferd im Grunde eine Illusion ist. Selbst innerhalb der Herde ist die Hierarchie nicht immer klar geregelt und kann wechseln. Zudem sind von Menschen zusammengestellte Herden oft konfliktreich, da Ressourcen wie Futterplätze, Wasserstellen oder Platz begrenzt sind. Das ist kein repräsentatives Bild der Natur. Stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung, entstehen selten ernsthafte Auseinandersetzungen. Dennoch sind die Konzepte von Dominanz, Rangordnung und „Herdenchef“ in der Pferdewelt allgegenwärtig und werden oft als Standardlösung betrachtet, wenn Probleme auftreten.

Neurobiologisch betrachtet lernen Pferde durch Konsequenzen ihres Verhaltens, aber nicht im Rahmen einer festen Hierarchie. Pferde nehmen aversive Reize (z. B. Druck oder Strafe) nicht als „dominantes Verhalten“ wahr, sondern als unangenehme Erfahrung, die sie zu vermeiden versuchen. Diese Form des Lernens basiert eher auf Furcht als auf Vertrauen. Methoden der positiven Verstärkung, wie etwa Clickertraining, haben gezeigt, dass Pferde nachhaltiger und stressfreier lernen, wenn erwünschtes Verhalten belohnt wird.

Hufe auskratzen als Beispiel für saubere Verhaltensketten im Training

Warum hinterfragen viele Menschen Dominanz-Konzepte nicht?

Man könnte endlos über die Frage diskutieren, ob es eine Alpha-Theorie gibt. Ich selbst habe Jahre damit verbracht, weil ich nicht wusste, was ich glauben sollte. Oft sind Menschen nicht offen für diese Diskussion, weil sie sich mit der Erkenntnis, ihrem Pferd vielleicht Unrecht getan zu haben, unwohl fühlen. Als ich meinen Standpunkt gefunden hatte, hörte ich auf, meinen Schülern einfach nur meine Sichtweise zu erklären. Stattdessen begann ich, Fragen zu stellen: „Warum glaubst du, dass Dominanz etwas ändert?“ oder „Was bedeutet Dominanz für dich?“ Die Antworten waren meist ähnlich: Ein respektvolles Miteinander, die Möglichkeit, in schwierigen Situationen die Führung zu übernehmen und das Pferd in Sicherheit zu wiegen. Auch das eigene Sicherheitsbedürfnis spielt eine große Rolle.

Viele Menschen wünschen sich, dass ihr Pferd sich ihnen gerne anschließt, motiviert mitarbeitet und Vertrauen hat. Ein weiterer Wunsch ist es, nicht ständig mit dem Pferd „diskutieren“ zu müssen. Natürlicherweise möchten wir Menschen gerne Kontrolle haben und das letzte Wort behalten. Doch ist ein „dominantes Pferd“ nicht eher ein Symptom als eine Ursache? Letztlich ist es nur ein Pferd, das sich nicht wie gewünscht verhält. Die Einteilung in „unerwünschtes“ oder „falsches Verhalten“ ist rein menschlich. Für das Pferd ist jedes Verhalten logisch und sinnvoll, genau wie auch wir Entscheidungen treffen, von denen wir glauben, dass sie richtig sind. Dominanz ist also nur ein Etikett, das subjektiv vergeben wird.

Fehleinschätzungen und Missverständnisse

Viele Menschen interpretieren das Verhalten eines Pferdes aus einer menschlichen Perspektive und projizieren ihre eigenen Vorstellungen darauf. Doch viele als „dominant“ wahrgenommene Verhaltensweisen sind vielmehr Ausdruck von Unsicherheit, Frustration oder fehlendem Vertrauen.

Ein Pferd, das drängelt, muss nicht „respektlos“ sein, sondern kann schlicht gestresst oder ungeduldig sein. Ein Pferd, das sich einem Druckreiz widersetzt, ist nicht unbedingt „stur“, sondern hat vielleicht einfach die vorangegangene Kommunikation nicht verstanden. Diese Missverständnisse führen oft dazu, dass Menschen mehr Druck einsetzen, anstatt die eigentlichen Ursachen zu hinterfragen.

Hufe auskratzen als Beispiel für saubere Verhaltensketten im Training

Alternative Trainingsansätze

Die Theorie des „dominanten Alpha-Tiers“ kommt besonders dann ins Spiel, wenn ein Mensch eine Forderung gegenüber dem Pferd durchsetzen will und dazu (aversiven) Druck nutzt. Oft dient Dominanz als Legitimation, Druck anzuwenden. Doch ist es nicht häufig so, dass wir eigentlich weniger Druck anwenden möchten, aber überholte Theorien zum Thema Unterordnung alternative Möglichkeiten verhindern? Wäre es nicht besser, wenn wir die gleichen Ergebnisse ohne Druck erreichen könnten?

Moderne, belohnungsbasierte Trainingsmethoden zeigen, dass Pferde durch positive Erfahrungen schneller und nachhaltiger lernen. Sie können Verhaltensweisen „freiwillig“ und mit Freude ausführen, anstatt aus Angst vor unangenehmen Folgen zu reagieren. Wer Zeit in einen durchdachten Trainingsaufbau, gutes Timing und ein Belohnungssystem investiert, braucht keine Dominanztheorien zur Rechtfertigung.

Ein neuer Blick auf Pferdetraining

Die Leittier-Theorie wurde nie wissenschaftlich untersucht, sondern basiert auf Überlieferungen. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass sich das Pferd uns anschließt, wenn es uns mit positiven Erlebnissen verknüpft? Würde das nicht die Situation für beide Seiten verbessern und die Beziehung harmonischer machen? Niemand ist perfekt und kann alles auf Anhieb richtig machen. Doch es macht einen Unterschied, ob man das Problem bei sich selbst oder beim Pferd sucht. Oft wird Druck angewendet, weil alternative Ansätze nicht bekannt oder erprobt sind. Wer sich mit neuen Trainingsmethoden auseinandersetzt, kann weitere Möglichkeiten entdecken und Wege finden, ohne aversiven Druck auszukommen, anstatt an überholten Konzepten festzuhalten.

Manchmal bedeutet ein fairer Umgang mit dem Pferd auch, die eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen. Das kann nicht jeder und das will auch nicht jeder. Doch dann sollte man dazu stehen, statt Ausflüchte zu suchen, warum etwas nicht ohne Druck funktioniert. Ein respektvoller Umgang mit dem Pferd bedeutet auch, die eigenen Vorstellungen zu hinterfragen und flexibel auf die Bedürfnisse des Pferdes einzugehen. Das Festhalten an der Leittier-Theorie kann jedoch schnell dazu führen, dass man andere Lernansätze übersieht, die das Pferdeverhalten differenzierter betrachten und individuelle Lernpräferenzen berücksichtigen.

Stattdessen sollten wir uns also fragen: Warum zeigt das Pferd dieses Verhalten? Was möchte es damit erreichen? In welchen Situationen tritt es auf? Wie wurde es bisher verstärkt? Warum lohnt es sich für das Pferd mehr als das gewünschte Verhalten? Welches Verhalten möchten wir stattdessen sehen? Und wie können wir dieses fördern?

Das natürliche Lernverhalten bietet viele Möglichkeiten, um Verhalten gezielt zu trainieren und durch positive Emotionen zu verstärken. Dies erfordert Selbstreflexion, Wissbegierde, Zeit und Übung. Doch wer sich diese Mühe macht, wird belohnt: mit einer echten, vertrauensvollen Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd.

Signale funktionieren durch Konsequenzen

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