Immer wieder begegnet mir das Argument, Zirkuslektionen seien unnatürlich. Das Pferd habe daran keinen Spaß und würde dies nicht freiwillig machen. Aus manchem Munde tönt es gar, sie seien für das Pferd entwürdigend, weil man ihre Natur unterdrücke.

Wenn es sich lohnt, greifen Pferde auch schon mal ungewöhnlich zum Futter (Foto: Mareike Gebhardt)

Wenn es sich lohnt, greifen Pferde auch schon mal ungewöhnlich zum Futter (Foto: Mareike Gebhardt)

Tatsächlich ist es eine schwierige Angelegenheit, Pferden Bewegungsabläufe zu vermitteln, die nicht ihrer Natur entsprechen. Allein schon deshalb, schließt sich die Bestätigung dieser These von vorneherein aus, denn Zirkuslektionen sind beliebt unter Pferdebesitzern, ganz gleich welchen Wissenstandes. Die wenigsten sind professionelle Pferdetrainer.

Zirkuslektionen sind unter Signalkontrolle gestellte, natürliche Bewegungen, die das Pferd im Alltag durchaus zeigt. Auch hier hängt es davon ab, ob sich der „Energieaufwand“ zu einer solchen Bewegung für das Pferd lohnt. Ein sehr verfressenes Pferd wird demnach eher auf die Idee kommen, sich besonders anzustrengen. So sieht man des Öfteren Pferde im Kompliment oder im Knien, während sie unter dem Zaun hindurch das Gras auf der anderen Zaunseite abfressen.

Das Knien zeigen Pferde häufig im Spiel mit anderen Pferden (Foto: Anne Wiegelmann)

Das Knien zeigen Pferde häufig im Spiel mit anderen Pferden (Foto: Anne Wiegelmann)

Ein besonders großes Repertoire an „Zirkuslektionen“ zeigen die Pferde im freien Spiel mit anderen Pferde. Das Spiel- und Sozialverhalten untereinander bietet das gesamte Spektrum spektakulärer Bewegungen. So gehören Knien und Kompliment, aber auch spanischer Gruß und Steigen zum Standartrepertoire verspielter Pferde aller Altersklassen und Größen.

Das aufrechte und flache Liegen gehört zu den Zirkuslektionen, die man am häufigsten Beobachten kann, da dies eine Notwendigkeit darstellt. Doch auch das Sitzen sieht man zu weilen. Manche Pferde setzen sich erst auf, bevor sie aufstehen oder sich auf die andere Seite fallen lassen. Sommerekzemer kratzen sich im Sommer besonders gerne sitzend den Allerwertesten.

Das sieht man, wenn Pferde sich kratzen oder Wälzen (Foto: Nina Meyhoff)

Das sieht man, wenn Pferde sich kratzen oder Wälzen

Die Verbeugung sieht man, wenn Pferde sich nach langem Liegen ausgiebig strecken. Die Bergziege zeigen Pferde gern, wenn sie an einer Steigung bergauf fressen oder kurz bevor sie sich Hinlegen.

Neben den klassischen Zirkuslektionen, beherrschen viele Pferde spannende und lustige Tricks. Gähnen und Flehmen auf Kommando, bei zufälligem Auftreten belohnt und dadurch unter Signal gestellt. Auch das Apportieren und Aufheben von Dingen ist zwar nicht jedem Pferd in die Wiege gelernt, aber durchaus natürlich.

Entwürdigend sind Zirkuslektionen dann, wenn Sie unter Zwang trainiert werden und dem Pferd nicht die Chance gegeben wird, mit positiven Erfahrungen zu lernen. Dann stimme ich der Meinung zu, sind Zirkuslektionen entwürdigend. Richtig trainiert sind Zirkuslektionen für jedes Pferd-Mensch-Paar eine Bereicherung. Werden Zirkuslektionen zwanglos und mit viel Belohnung, Zeit und Geduld trainiert, haben Sie einen hohen pädagogischen Wert.

Das Knien in Perfektion, natürlich und ungezwungen (Foto: Ulrike Wilde)

Das Knien in Perfektion, natürlich und ungezwungen (Foto: Ulrike Wilde)

Sie vermitteln dem Pferd Spaß am Lernen, das Pferd lernt, das seine Mitarbeit erwünscht ist und geschätzt wird. Das Denkvermögen des Pferdes wird auf diese Weise geschult, so dass auch im übrigen Training Bewegungsabläufe besser verstanden werden können. Die koordinativen Fähigkeiten des Pferdes, das Gleichgewicht und das Körpergefühl im Allgemeinen wird ebenfalls verbessert. Zu guter Letzt wirken Zirkuslektionen gymnastizierend und tragen damit zur Gesunderhaltung des Pferdes und zur Verletzungsvorbeugung bei.

Zirkuslektionen sind also mitnichten unnatürlich. Wer jedoch noch nie gesehen hat, wie Pferdeaugen strahlen, wenn sich Pferd und Mensch voller Freude gemeinsam etwas erarbeiten, weil er sich im Irrglauben davor verschließt, wird diese Erkenntnis möglicherweise nicht erlangen, lebt mit falschen Vorstellungen und verpasst womöglich eine wichtige Erfahrung im Zusammenleben mit seinem Pferd.